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114. Die Juden in Deutschland.
Obgleich die Judenverfolgungen in dieser Periode noch häufig an
der Tagesordnung waren, so läßt sich doch nicht verkennen, daß die
Kirchenreformation, wenn auch nicht unmittelbar, auf die Stellung der
Juden einen günstigen Einfluß ausübte. Schon der Umstand, daß sie
die Gewalt des Klerus brach, konnte nicht ohne günstige Wirkung für
die Juden bleiben; auch das wissenschaftliche Studium des biblischen Ur—
textes und das Wiederaufleben der klassischen Studien boten Berührungs—
punkte, die nicht ohne Nutzen für das Judenthum blieben. Schreckliche
Judenverfolgungen find auch aus dieser Periode in Deutschland zu ver—
zeichnen. Die falschen Anschuldigungen führten besonders in Preußen zu Aus—
treibungen und grausen Mordszenen. Der große Churfürst Friedrich
Wilhelm nahm viele der 1670 aus Oesterreich vertriebenen Juden auf,
und gewährte ihnen einen nachhaltigen Schutz. In Berlin bildete sich
eine Gemeinde, die steten Zuwachs erhielt, und so auch in vielen andern
Städten des preußischen Staates. In einer Zeit der Krisis, als welche
das 16. und 17. Jahrhundert zu betrachten sind, treten die Differenzpunkte
viel schärfer hervor, und so kam es, daß in dem Maße, als die Judenver—
folgungen abnahmen, der literarische Kampf gegen das Judenthum um so
energischer geführt wurde. Die Angriffe auf dem Gebiete der Literatur
gingen zumeist von jüdischen Apostaten aus, die damit ihren Abfall
rechtfertigen und ihre Auhänglichkeit an dem neuen Glauben beweisen
wollten. Das Studium der jüdischen Literatur, zu dem die Reformation
die Anregung gab, fand auch unter christlichen Gelehrten ernstliche Pflege.
Als hervorragend sind zu nennen: Sebastian Münster (st. 15502), Johann
Burxtorf, Vater (1564-1629), dessen gleichnamiger Sohn (1599 —
1664). Judenfeindliche Tendenzen standen häufig bei diesen Studien in
dem Vordergrunde; man suchte die gehässigen Anklagen aus der ältern
jüdischen Literatur zu begründen. Das berüchtigte Werk von Eisenmenger:
„das entdeckte Judenthum“, bietet in dieser Richtung das Höchste was
der Judenhaß ersinnen konnte.
115. Der Prozeß gegen den Talmud.
Ein großes Aufsehen in ganz Europa erregte der Kampf gegen die
jüdische Literatur und insbesondere gegen den Talmud, der von einigen
fanatischen Geistlichen und jüdischen Apostaten heraufbeschworen wurde.
Die Dominikaner in Cöln, an deren Spitze der Ketzerriecher Hochstratten
stand, und andere judenfeindliche Theologen, unterstützt von den beiden
Lonvertiten Johann Pfefferkorn und Karben, erwirkten ein am
9. August 1509 aus Padua erlassenes Edikt des Kaisers Marimilian,
vonach alle jüdischen Bücher in Deutschland verbrannt werden durften
(5109. Allein der berühmte Johann Reuchlin, der von Pfefferkorn
aifgefordert wurde, den Verbrennungsakt zu leiten, erstattete über Auf
foderung des Erzbischofs und Churfürsten in Mainz, Uriel von Mem—
mingen, den der Kaiser als Kommissär in dieser Angelegenheit ernannte,
einn für das Judenthum so günstigen Bericht daß die ganze Prozedur
unerblieb, und der so arg angegriffene Talmud gelangte zu Ehren und
wude durch ein Privilegium des Papstes Leo RX., den sein jüdischer