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Feind, und ein furchtbarer Zweikampf erhub sich. Als dieser endlich wegen
der Erschöpfung der Gegner auf einen Augenblick ruhte, hörte Hartmut von
dem oberen Mauerrande der Burg einen Angstschrei: ein Diener, von der
bösen Gerlinde dazu angestiftet, nahte sich eben der dem Kampf von oben
zuschauenden Gudrun, um sie hinterrücks zu durchbohren. Aber mit Donner¬
worten scheuchte Hartmut den heimtückischen Schurken zurück und rettete so
Gudrun zum zweiten Male das Leben; dann nahm er den Kampf mit dem
fürchterlichen Wate wieder auf. Das sah von oben die liebliche Ortrun,
die eben erst die Kunde vom Tode ihres Vaters vernommen hatte, und mit
rührender Klage warf sie sich Gudrun zu Füßen. „Gedenke", rief sie,
„wie dir zu Muthe war, als man deinen Vater erschlug. Nun sieh, mein
Vater und meine Freunde sind todt; würde mir auch mein Bruder Hartmut
erschlagen, so wäre ich ganz eine Waise. Vergilt nun alle Liebe, die ich
dir erwies, und rette meinen Bruder vor dem schrecklichen Helden, mit
dem er jetzt kämpft." Gern wollte Gudrun die Bitte ihrer Freundin er¬
füllen, aber der tobende Wate hörte sie nicht. Da gewahrte sie Herwig,
winkte ihn heran und bat ihn, die beiden Kämpfer von einander zu scheiden.
Aber Wate verweigerte in seiner wilden Aufregung Herwig's Begehren, und
da dieser dennoch zwischen die Streitenden sprang, versetzte er ihm einen
Schlag, daß er hintanmelte. Darüber entstand ein Getümmel, in welchem
Hartmut lebendig gefangen genommen ward.
Nun gewann Wate stürmend die Burg. Horand pflanzte Hildens
schneeweißes Banner auf der Zinne auf. Im Schloß aber tobte Wate
gleich einem Würgengel, selbst die Kinder in der Wiege mordete er, um
nicht ein Geschlecht von Rächern heranwachsen zu lassen. Ortrun und viele
von ihren Mägden und Dienern flüchteten sich in Gudrun's Schutz; als
aber auch Gcrlinde sich ihr zu Füßen warf und um Gnade flehte, sprang
Wate mit knirschenden Zähnen und blitzenden Augen heran, schleppte die
zitternde Königin mit den Worten: „Nun soll meine Jungfrau nimmermehr
eure Kleider waschen", hinaus und schlug ihr das Haupt ab. Dann suchte
er die ungetreue Hergart; Gudrun flehte, ihr das Leben zu schenken, aber
der rasende Held rief: „Das kann nicht sein, hier bin ich Zuchtmeister",
und er legte der Bcrrätherin das Haupt vor die Füße. Auch die Burg
wollte er verbrennen, doch Frutc wehrte es; dieser ließ die Todten hinaus¬
tragen und das Blut abwaschen und übergab Horanden die Frauen' zur
Obhut.
U. lüie Gudrun heimkehrte.
Jetzt gieng cs heim ins Friescnland. Boransgcsandte Boten brachten
Hilden die frohe Kunde. Als diese erfuhr, daß König Ludwig erschlagen
wäre, jauchzte sie auf in befriedigtem Rachcgefühl. Aber sogleich fragte sie
ängstlich, wie es Gudrun und ihren Mägden ergehe; die Mutterliebe war
doch mächtiger, als der Feindcshaß. Und als sie nun ihre Tochter selbst
umfieng und küßte, da hätte alles Gold der Welt ihr die Freude nicht
ausgewogen. Dankbar neigte sie sich vor dem gewaltigen Wate und küßte
ihn, ebenso ihren Ortewin. Als aber auch Ortrun ihr vorgeführt ward,
wandte sie sich strenge von der Tochter ihres Feindes ab, und erst Grll>runs
Bitten und Thränen vermochten endlich ihren Zorn soweit zu mildern, daß