Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

hörten öffentliche Festlichkeiten, bei denen er und seine Gemahlin Luise in 
Pracht und Glanz erscheinen mußten. 
Am 10. März 1794 feierte Luise in Berlin ihr erstes Geburtstagsfeft. 
Der König schenkte ihr das Schloß Oranienburg, in dem Luise von 
Oranien einst segensvoll gewaltet hatte. Vielleicht daß auch ihm sich der 
Gedanke aufgedrängt hatte, Luise habe in ihrem tiefsten Denken und 
Fühlen eine innige Verwandtschaft 
mit dem Gemüthe jener frommen 
Fürstin. Auf die während der 
Festesfeier von dem Könige an sie 
gerichtete herzliche Frage, ob sie 
noch einen Wunsch habe, bat sie 
um eine Hand voll Gold — für 
die Armen. Ihr Wunsch wurde 
ihr in reichlicher Weise erfüllt. 
In das erste Jahr ihres ehe¬ 
lichen Glückes fällt der Aufstand 
in Polen unter dem tapferen 
Kosciuszko. Der Kronprinz folgte 
dem Könige ins Feld. Im An¬ 
denken an die Gefahr, der ihr 
Gemahl entgegen gehe, erbebte 
Luisens Herz. Doch schon hier 
zeigte es sich, daß ihr neben den 
zartesten Empfindungen auch die 
Kraft innewohnte, Unvermeidliches 
mit Würde zu tragen. Als sie ver¬ 
nahm, ihr Gemahl habe bei dem 
König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Sturme auf Wola die nächste Co- 
lonne hinter dem Könige geführt, 
äußerte sie: „Ich zittere vor jeder Gefahr, der mein Mann sich aussetzt, 
aber ich sehe ein, daß der Kronprinz, welcher der Erste nach dem Könige 
auf dem Throne ist, auch der Erste nach ihm im Felde sein muß." 
Bald nach der Rückkehr aus Polen kaufte der Kronprinz das zwei 
Meilen von Potsdam an den Wiesen der Havel gelegene Landgut Paretz. 
An Stelle des Wohnhauses wurde ein Schloß aufgebaut, in nächster 
Umgebung desselben ein Park angelegt. Dem Baumeister und dem Gärt¬ 
ner war von dem Kronprinzen aufgegeben worden, alle baulichen Ver¬ 
schönerungen und Anpflanzungen streng in einfach ländlichem Stile zu 
halten." „Nur immer denken", sagte er, „daß Sie für einen armen 
Gutsbesitzer bauen." Er wolle, äußerte er ein anderes Mal scherzend, 
dort nur als Schulze von Paretz angesehen werden. Streng wachte er, 
daß man seinen Anweisungen gemäß verfuhr. Endlich waren Schloß, 
Garten und Anlagen fertig. „Dasselbe hatte in seinem Äußern wie in 
seinem Innern so wenig Hervorstechendes und Ausgezeichnetes, daß man es 
kaum für ein königliches Schloß halten möchte. Da sah man keine kost¬ 
baren Möbel, keine prächtig geschmückten Wände, keine reichgearbeiteten 
*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.