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Unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den kaiserlichen Titel
in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des deutschen Reiches
führen und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde,
unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segens¬
reichen Zukunft entgegenzuftihren. Wir übernehmen die kaiserliche Würde
in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches
und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit
Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu vertheidigen.
Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt
sein wird, den Lohn seiner heißen und opfermüthigen Kämpfe in dauern¬
dem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vater¬
lande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe
Frankreichs gewähren. Uns aber und Unseren Nachfolgern an der Kaiser¬
krone wolle Gott verleihen, allezeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein,
nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des
Friedens auf dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung!"
Eine ernste, freudige Erhebung durchdrang die Herzen aller Gegen¬
wärtigen. In den Ruf des Großherzogs von Baden: „Seine Majestät
der Kaiser Wilhelm lebe hoch!" stimmte die Versammlung mächtig schal¬
lend ein; und unter den Klängen der Volkshymne schloß das Fest.
Werner Hahn.
439. Deutschland über alles.
1. Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenhält,
Bon der Maas bis an die Memel,
Bon der Etsch bis an den Belt.
Deutschland, Deutschland über alles,
Ueber alles, in der Welt!
2. Deutsche Fraun und deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Saug
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten, schönen Klang,
Und zu edler That begeistern
Unser ganzes Leben lang.
Deutsche Fraun und deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang!
3. Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Darnach laßt uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand. —
Blüh' im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!
Hoffmann v. Fallersleben.
440. Der Feldpostbrief.
Ein Soldat aus Mecklenburg stand vor Paris auf Vorposten.
Hier erhielt er einen Brief aus seiner Heimat, und da er lange ohne
Nachricht geblieben war, konnte er sich nicht enthalten, denselben gleich zu
erbrechen. Beim Lesen vertieft er sich nun so, daß er kein Auge und
Ohr für das hat, was um ihn her passiert. Plötzlich hört er Geräusch,
sieht auf und erblickt den König und den Kronprinzen nebst Gefolge.
Erschreckt läßt er den Brief fallen und macht die üblichen Honneurs.
Der König, der seine Angst und Verwirrung bemerkte, kam freundlich
auf ihn zu geritten und fragte: „Nun, ein Brief von der Braut?" —
»Nein, Majestät, von meinem Vater!" eutgegnete dieser. — „Darf ich
den Brief lesen, oder enthält er Geheimnisse?" fragte der König weiter.
— Der Soldat übergab hierauf den Brief dem Könige. Dieser wendete
sich zu seiner Umgebung und las unter anderm folgendes laut vor: „In