286 Neudeutsche Literatur.
eines frey gebornen Menschen zu entsagen: Er lerne vergessen, was er am
eifrigsten wünscht, nach dem trachten, was ihm verächtlich ist, Fröhlichkeit
seines Herzens verbeißen, und bei nagendem Kummer ein heiteres Gesicht
annehmen. Ist seine Seele zu stark, und sein Herz zu empfindlich, als daß
er, so oft es verlangt wird, fremden Irrthum eigener Ueberzeugung vorziehen
könne: so kämpfe er den bittern Kampf, und lerne über seinen eigenen Ver—
stand siegen.
IV. Herder.
1. Die Originalgenies.
(G. ls. Lehrb. s. 850. Allg. Wellg. XIII. 623 ff.)
1. J. G. Hamann.
uun. eehb. h. 850)
Bruchstücke aus den biblischen Betrachtungen eines Christen.
Jede biblische Geschichte ist eine Weissagung, die durch alle Jahrhunderte
und in der Seele jedes Menschen erfüllt wird. Jede Geschichte trägt das
Ebenbild des Menschen, einen Leib, der Erde und Asche und nichtig ist, den
sinnlichen Buchstaben; aber auch eine Seele, den Hauch Gottes, das Leben
und das Licht, das im Dunkeln scheint und von der Dunkelheit nicht begriffen
werden kann. Der Geist Gottes in seinem Worte offenbart sich wie das
Selbstständige — in Knechtsgestalt, ist Fleisch — und wohnt unter uns
voller Gnade und Wahrheit.
1. Buch Moses 11
Wir finden hier eine ungewöhnliche Einigkeit unter den Menschen, eine
Einigkeit, die in den bösen Gedanken ihres Herzens ihre Stärke erhielt. So
wie sie auch ohne Sündfluth sich vermuthlich bald würden aufgerieben haben,
und die Sündfluth in dieser Absicht nicht einmal als eine Strafe anzusehen
ist sondern als eine Wohlthat; so würde die Zerstreuung und das Mißver—
sländniß auf eine betrübtere Art aus dieser Vereinigung, wie ein Sturm auf eine
Windstille, erfolgt sein, als die Gott durch ein Wunder unter ihnen hervorbrachte.
Mose beschreibt den Eifer Gottes, das Vorhaben der Menschen zu ver—
hindern, mit eben den Worten, womit er den Menschen den ihrigen ausdrücken
läßt. Kommt — laßt uns niederfahren. Dies ist das Mittel, wodurch wir
dem Himmel näher gekommen sind. Die Herunterlassung Gottes auf die
Erde; kein Thurm der Vernunft, dessen Spitze bis an den Himmel reicht,
und durch dessen Ziegel und Schleim wir uns einen Namen zu machen ge—
denken; dessen Fahne der irrenden Menge zum Wahrzeichen dienen soll.
Gott hat sich die Vereinigung der Menschen vorbehalten zu einer ein—
zigen Sprache, zu der einzigen wahren Erkenntniß. Die Ausbreitung des
Ebangelii ist das Hülfsmittel, unsre Herzen, unsre Sinne und Vernunft zu
vereinigen. Die Propheten des alten und neuen Bundes vertrösten uns auf
die Zerstörung Babels, und daß die Zerstörung des menschlichen Geschlechts
sowohl ein Ende nehmen wird, als des jüdischen Volkes seine. Die Erhaltung
und Regierung der Welt wird ein fortdauerndes Wunder bleiben, bis das
Geheimniß Gottes zu Ende sein wird.