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allerlich solid sind viele Fenster, Balcone und Giebelzinnen derselben auf- 
gesührt. Ein bestimmter architektonischer Geschmack herrscht nicht vor, 
wohl aber läßt sich deutlich erkennen, daß Haltbarkeit, zweckmäßige Be¬ 
nutzung des vorhandenen Raumes und das Bestreben nach Comfort sich 
gegenseitig die Hände reichen. Ich denke mir Edingburgh ähnlich gebaut, 
nur daß in der schottischen Hauptstadt die terrassenartig am Berg empor¬ 
steigenden burgartigen Gebäude dieser ein ungleich imposanteres Aeußere 
verleihen müssen. Die meisten Häuser des Neubaues haben bei einer 
Höhe von 4 bis 5 Stockwerken platte Dächer, was uns bisweilen glauben 
machen kann, wir befinden uns in einer Stadt Südeuropa's. 
Den Glanzpunkt dieses von den Flammen verheerten und aus der 
Asche seitdem wieder neu entstandenen Hamburgs bildet das Alsterbassin, 
das auf drei Seiten von den langen Palastfronten des Alsterdammes, des 
alten und neuen Jungfernstieges umrahmt wird. Dem schönen Jungfern- 
stiege kann keine andere deutsche Stadt etwas Aehnliches an die Seite 
stellen. Namentlich des Abends, wenn tausend Lichter der nahen Paläste 
und Gasthäuser in der blauen Alsterfluth sich spiegeln, wenn ringsum Ge¬ 
sang und Saitenspiel und frohes Leben erschallt und auf dem Wasser die 
Gondeln sich schaukeln: glaubt man nicht in einer nordischen Stadt, son¬ 
dern in einem Venedig oder in einer noch lebhafteren süditalienischen Stadt 
zu sein. Allerdings würde dieser schönste Theil Hamburgs noch schöner 
sein, bildete er statt eines gegen Norden zu offenen Vierecks einen colossa- 
len Halbkreis, was vielleicht bei der neuen Anlage möglich gewesen wäre, 
hätten die Erbauer nicht Nützlichkeitsrücksichten vorwalten lassen. 
Es giebt keine zweite Stadt in Deutschland, welche auch nur ähnliche, 
dem häuslichen Comfort dienende Einrichtungen in der Art aufzuweisen 
hat, wie sie in dem neuerbauten Hamburg das kleinste Haus besitzt. Der 
Boden, der diese Häusermasse trägt, ist mehr durchwühlt, und mittelst 
künstlicher Stützen wieder zu einem haltbaren Ganzen zusammengefügt, als 
manches gold- und silberhaltige Gebirge. Neben den Abzugskanälen, die 
den Unrath in die Fleethen führen, laufen die Röhren jener großartig 
angelegten Wasserleitung, die jedes Haus vom Kellerraume bis in's vierte 
und fünfte Stockwerk hinauf zu jeder Stunde mit stets frisch sprudelndem 
Wasserquell versorgt, und durch das Geflecht und Gewirr dieses Sielbaues 
schlingen sich wieder die tausendfachen Verästungen der schwarzen Gu߬ 
eisenröhren, in deren Innerem die unsichtbare Materie des Gases fort- 
sluthet, dieser leuchtende Geist der Steinkohle. Sobald es dämmert, oft 
aber auch schon am Tage, wenn die Nebel des Nordens den Tag in 
halbe Nacht verwandeln, blitzt überall die breite, in mehrere feine Spitzen 
sich theilende weiße Flamme des Gases auf, hier unter der Erde, dort 
hoch oben in der Luft; denn sehr viele Hausbesitzer haben es vorgezogen, 
alle Localitäten mit Gasbeleuchtung einrichten zu lassen. Gas brennt 
beim Krüger und Victualienhändler im Keller, Gas leuchtet in den Comp¬ 
toirs der Kaufleute, der Setzer fügt die vielverwünschten bleiernen Lettern 
Grube, Geogr. Charakterbilder. I. 14. Aufl. 19
	        
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