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Trotz dieser Gunst und Gaben scheint es nichtsdestoweniger, daß 
selbst auch bei den Griechen, wie bei allen anderen europäischen Völkern, 
die zündenden Funken von Außen kommen mußten. Die Mythen der 
Helden weisen auf Einwanderungen hin als auf solche Ereignisse, welche 
ihnen die Anregungen zum sittlichen Leben gaben, auf eine aus der Fremde 
kommende Lehrerin des Ackerbaues, die Demeter, welche die Ehe stiftete, 
den Feigenbaum nach Griechenland brachte, wie Minerva den Oelbaum, 
— aus einen ausländischen Prometheus, der den Griechen die mit Feuer 
betriebenen Künste lehrte. Selbst den Gebrauch des Eisens empfingen sie 
aus der Fremde. Die Einführung des Pferdes, der Kunst des Spinnens 
und Webens wurden dem Poseidon, dem Gotte des Meeres, zugeschrieben, 
d. h. wohl nur: sie kamen über's Meer zu dem noch unkundigen Jnsel- 
volke. Ebenso gelangten zu ihnen zu Schiffe aus Phönizien und Aegypten 
durch Cadmus, Danaus, Pelops die ersten Gesetzgeber, Staatenbegründer 
und die Erbauer von Burgen und Städten, ein großer Theil ihrer Götter¬ 
namen und ihrer religiösen Fabeln und Satzungen. 
Alle Anfänge der Gesittung brachten den Griechen Schiffer und 
Handelsleute, zu; ihre Cultur war mit einem Worte aus dem Meere ge- . 
boren. Der Lage und Beschaffenheit des Landes gemäß wuchs sie dann 
auch bei ihnen durch Hülfe des Meeres weiter. Von vornherein wurden 
die Griechen selbst ein Volk von Seefahrern und Handelsleuten. Der 
älteste Name der Landeskinder „Pelasger" soll auch, wenigstens nach der 
Meinung einiger, vom griechischen Pelagos (Meer) abzuleiten sein, und 
nichts anderes als Seeleute bezeichnen. Nach dem großen Gotte des 
allumfassenden Himmels, dem eingeborenen Zeus, war Poseidon, der Gott 
der Gewässer und Winde, bei ihnen der zweite. Er waltete über ihre 
Schicksale mächtiger und eingreifender als die anderen, zu ihm stiegen in 
den zahlreichen, auf den Inseln und Vorgebirgen errichteten Tempeln ihre 
eifrigsten Gebete empor. Aus den Salzwogen tauchte ihnen die Göttin 
der Schönheit Aphrodite hervor, und im Meere hatte selbst der Sonnen¬ 
gott Helios seinen Palast, wo er in den Armen der unter dem Wasser 
waltenden Thetis ruhte. 
Die ersten bedeutenden gemeinsamen Unternehmungen der Griechen, 
in denen sie sich als ein einiges Volk bethätigten und empfinden lernten, 
der Argonautenzug, der Trojanerkrieg, waren große Flotten- und See¬ 
expeditionen, und wie damals zur Zeit des Argonautenzuges sich ganz Grie¬ 
chenland aus dem ägäischen Meere erhob, so hat es aus diesen: selben 
Meere, seinen Inseln, seinen Häfen noch oft wieder frische Kräfte gezogen. 
Wie jener von: Herkules zu Boden geworfene Antüus, der stets von sei¬ 
ner Mutter, der Erde, neues Leben empfing, so hat sich Griechenland, 
wenn es niedergeworfen war (selbst wieder in unseren Tagen), aus seiner 
Mutter, der See, regenerirt. Ihre ältesten und bei ihnen an: meisten 
volksthümlich gewordenen Gesänge, die Dichtungen Homer's, haben See¬ 
räubereien, Seeabenteuer und Schifffahrt zum Gegenstände. Es sind
	        
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