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ein kleiner rother Feß, um den sich in üppiger Fülle die dichten Haar¬
flechten winden, gilt als nationales Abzeichen —: so herrscht in diesen
entlegneren Straßen und Winkeln noch ganz die albanesische Frauentracht,
wie im übrigen Griechenland. Ein langer wollener Rock, vom Hals bis
zu den Füßen wallend, wird tief unten an der Hüfte mit einem rochen
Gürtel zusammengehalten; darüber legt sich ein kürzeres, wollenes Ober¬
kleid von demselben Schnitte, ebenfalls mit weißem Grund, die Breite des
Rückens mit zwei langen schwarzen Streifen hervorhebend, und wenn es
ein Festgewand ist, bei Mädchen mit rochen, bei Frauen mit schwarzen
Stickereien umsäumt. Der Kopf ist in durchaus antiker Drapirung mit
einem weißen Tuch umhüllt.
3.
Die Akropolis (Burg).
Der Hügel der Akropolis erhebt sich etwa 350 Fuß hoch am süd¬
lichen Ende der Stadt. In der ältesten Zeit war er die Stadt selbst; erst
unter Theseus breiteten sich die Wohnungen am Fuße des Hügels aus,
weshalb das spätere Athen auch die Stadt des Theseus genannt wurde.
Auf der Nord-, Süd- und Ostseite steigt er mit steilen und unerklimm-
baren Felswänden jäh empor. Rur gegen Westen ist er von dieser natür¬
lichen Befestigung entblößt. Die Westseite ist daher stets der gewöhnliche
Aufgang zur Akropolis gewesen. Jetzt ist der Eingang mit mittelalter¬
lichen und türkischen Mauerwerken verbaut, und nur durch eine enge Sei¬
tenpforte gelangt man in das Innere des Allerheiligsten. Wir gehen durch
diese Pforte und wir stehen vor der großen und breiten Treppe, auf deren
Höhe uns oben als ihr natürlicher Abschluß die Propyläen entgegen¬
treten, das festliche Eingangsthor, das die Griechen des Perikleischen Zeit¬
alters zu Betretung der Akropolis ladete. Diese Propyläen, in der Mitte
das große Thor, von dem das Brandenburger Thor in Berlin nur ein
schwaches Abbild giebt, und zur Seite die gewaltigen Seitenflügel, von
denen, der künstlerischen und militärischen Doppelbestimmung der Akropolis
entsprechend, der eine ein Waffenmagazin, der andere eine Pinakothek
(Gemäldegalerie) war, gehören zu den vollendetsten Bauten der vollendet¬
sten Kunstblüthe.
Aber die Säulen sind versttimmelt, das Dach zertrümmert; ein hä߬
licher mittelalterlicher Festungsthurm stört den einheitsvollen Eindruck; die
Treppen sind in vereinzelte Bruchstücke aus einander geschleudert. Und der
durch die Bemühungen von Roß und Schaudert aus den alten Trümmern
wieder aufgebaute zierliche Nike- (Siegesgöttin-) Tempel, der vor den
Propyläen steht, dient nur dazu, uns das Gefühl recht lebhaft zu machen,
was für eine unendliche Welt der Schönheit uns für immer verloren ge¬
gangen ist.
Durch die Propyläen hindurch geht es nun an regellos aus einander
geschichteten Bautrümmern vorüber zu dem Parthenon, dem schönsten