Full text: [Geschichte des Mittelalters] (Theil 2)

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Von diesen gesammten germanischen Gebieten nannten die Römer, 
welche den Rhein als die Grenze Galliens betrachteten, den aus der rechten 
Rheinseite befindlichen Theil Großgermanien, den aus der linken 
- gelegenen Kleingermanien. Mitten durch Großgermanien zog sich 
der, nach Cäsar's Angabe 60 Tagereisen lange, den Römern grauenvoll 
erscheinende hercynische Waldgebirgszug, der in Südwesten bei den 
Cevennen in Gallien anfing und südöstlich bei den Skythen mit den Kar¬ 
pathen endigte. 
Die Germanen zerfielen in eine Menge kleinerer Völkerschaften; die 
bekanntesten darunter waren: die Usipeten, Brukterer, Cherusker, 
Katten, dem Suevenbund angehörend; am Westufer der Elbe die Lango¬ 
barden, an der Donau und später in Böhmen die Markomanen, in: 
Oder- und Weichsekgebiet die Vandalen, in Schlesien die Ostsueven, 
an der Weichsel die Gothen, an der Niederelbe die Sachsen, an die 
sich nördlich die Angeln anschlossen; an den Küsten der Ostsee die 
Heruler und Rugier, an der Nordsee die Friesen u. s. w. 
Durch den Zusammenstoß der alten Cimbern und Teutonen mit den 
Römern, durch Cäsar's Kriege am Rhein und seinen ersten Uebergang in 
das dunkle, geheimnißvolle germanische Land ist das Volk der Deutschen 
in den Kreis der Geschichte getreten. Die Forschung begann mit ihrem 
Lichte die finstern Wälder zu erleuchten, in welchen ein Menschenstamm 
verborgen war, der in seiner Kraftfülle und reichen Begabung fortan der 
Träger des christlichen Völkerlebens werden sollte. 
Wir verdanken die ersten Nachrichten über das Leben unserer Vor¬ 
fahren dem römischen Geschichtschreiber Tacitus, aus dessen Schil¬ 
derung, als der ursprünglichsten Quelle, alle deutschen Geschichtschreiber 
zurückgehen. 
„Ich trete der Meinung derer bei," schreibt der berühmte römische 
Historiker, „welche glauben, Germaniens Völkerschaften seien durch keine 
Ehen mit anderen Nationen vermischt, ein eigenthümliches, nur sich selbst 
ähnliches Geschlecht. Der großen Volksmenge ungeachtet findet sich bei 
ihnen allen die gleiche Leibesbeschafsenheit: ein trotziges blaues Auge und 
ein röthliches Haar. Der Körper ist groß, nur zum Angriffe tauglich, 
zur Arbeit und Anstrengung minder geschickt. Am wenigsten erträgt er 
Durst und Hitze; an Kälte und Hunger ist er durch den Boden und das 
Klima des Landes gewöhnt. Dieses bietet überhaupt, obschon hie und da 
an Gestalt verschieden, einen traurigen Anblick dar. Es hat einen rauhen 
Boden, ein rauhes Klima, ist schrecklich durch seine Wälder, häßlich durch 
seine Sümpfe, etwas feucht gegen Gallien, luftiger gegen Noricum und 
Pannonien, fruchtbar an Getreide, an obsttragenden Bäumen arm. An 
Zuchtvieh hat es Ueberfluß, doch ist dasselbe meistentheils klein. 
„Die Germanen sehen bei der Wahl ihrer Häupter auf die edle Ab¬ 
kunft derselben, bei den Heerführern aber auf Tapferkeit. Doch haben die 
Häupter keine unumschränkte und freie Macht. Die Heerführer befehlen
	        
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