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Schlüsse und künstliche Begrisfsspielereien, welche, nicht auf dem festen
Boden der wahrhaftigen Forschung ruhend, dem grübelnden Verstände
und dialektischen Scharfsinne ein, für die Uebung der Denkkraft endloses,
für den Gegenstand selbst aber höchst unfruchtbares Feld eröffneten. Schulen
kämpften gegen Schulen, Nominalisten gegen Realisten unter dem
Namen der Thomisten und Scotisten (nach ihren Führern so genannt).
„Es war dies eine geistliche Ritterschaft, die in den Kampfspielen der
sophistischen Scholastik so gut ihre Lanzen brach, als die weltliche in den
Schranken ihrer Turnierbahn." Die wunderlichen Namen, welche die
Streiter sich selbst beilegten, bezeichnen genügend die unerquickliche Art
ihres Studiums. Es gab „allumfassende, unwiderstehliche, englische,
seraphische, gründliche und unergründliche, scharfsichtige, unerschöpfliche,
allerleuchtete Doctores." Der Titel einer Schrift des Tübinger Gottes¬
gelehrten Wilhelm von Stuttgart, welcher in Wirklichkeit einer viel späteren
Zeit, doch dem Sinn und Geist nach unter die ächten Scholastiker gehört,
heißt: „Die ausgeweidete Maus, oder meisterliche Abhandlung über die
theologische, dornige und höchst spitzpfündige Frage: ob eine Maus, die
eine geweihte Hostie verzehrt habe, den Leib Christi bei sich führe
oder nicht?"
Gegen solches und ähnliches sinnlose Treiben erhoben sich edle
geistreiche Männer, so wie überhaupt die unreligiöse Richtung des geist¬
lichen Regimentes schon im Stillen eine gewaltige Bewegung im Reiche
des Geistes vorbereitete. In Frankreich war es Abälard (bekannter
durch seine unglückliche Liebesgeschichte mit Heloise, als durch seine
freisinnigen Bestrebungen, welche ihm einen ehrenvollen Platz unter den
großen Geistern der Wissenschaft einräumen), der den Mißbräuchen muthig
entgegentrat. Ihm gegenüber stand der Dominikaner Thomas von
Aquino, das Wunder seiner Zeit und der Lehrer vieler Generationen.
Als würdiger Repräsentant der poetisch-philosophischen Richtung des
Christenthums gilt Bonaventura, ein Mann, reich an Begeisterung
und platonischer Geistesmacht. Aus seinem und des Thomas von Aquino
Einfluß und Geiste gingen kräftige Prediger hervor, voll innigen Gefühls
und frommen Eifers, die Reinheit des Glaubens wieder herzustellen.
Das waren die ersten Vorläufer der kommenden Neuzeit. In Italien
aber gab es in den Freistätten der Wissenschaft noch immer einige, wenn
auch wenige Gelehrte, welche den Geist des klassischen Alterthums durch
die Kenntniß seiner Schriften zu erhalten suchten und die die Sprache
lehrten, in welcher einst Platon und Aristoteles zu ihren Schülern
redeten.
Den theologischen und philosophischen Studien gegenüber, erhoben
sie nicht weniger strebsam die übrigen wissenschaftlichen Fächer, vor Allem
die Naturwissenschaften. Johann von Salisbury, Abälard's
Schüler, Roger Baco, Lehrer der Experimentalphysik, Albertus
Magnus endlich, der vielgepriesene Lehrer der Weltweisheit in Straßburg,