Full text: [Geschichte des Mittelalters] (Theil 2)

das wäre gut. „Denn," sagte er, „jedem Wesen ist am wohlsten da, 
wo es zu Hause ist, und unter seinesgleichen." 
Nun war aber, wie ihr wißt, noch ein Zwerg auf einem anderen 
Acker eingeschlafen. Dieser Acker gehörte dem bösen Bauer. Der kam 
mit seinen Ochsen daher und schnitt mit der scharfen Pflugschar dem 
Männlein ein Stück vom kleinen Finger ab, und zwar an der rechten 
Hand, so daß er schreiend in die Höhe sprang. Neugierig haschte der 
böse Bauer das kleine, zappelnde Wesen mit harten Händen, lachte laut 
auf über seine kläglichen Gesichter und schob es in die Rocktasche. Da 
lag es nun im Dunkeln viele Stunden, und die kleinen Blutstropfen 
rannen immerfort. Sein Lager war ein alter Tabaksbeutel, der so 
stark roch, daß ihm ganz übel wurde und es aus einer Ohnmacht in die 
andere fiel. Am Mittag brachte der Bauer das Männlein nach Hause 
und gab es seinen Lindern. Die spielten damit, als wäre es eine 
Holzpuppe, faßten es hart an, so daß es am ganzen Leibe heftige 
Schmerzen erlitt, und wollten sich totlachen über seine jämmerlichen Ge¬ 
sichter und seine klägliche Stimme. Der Bauer und die Bäuerin aber 
lachten mit. Das trieben sie so fort bis zum Abend, da sie alle zu Bett 
gingen und das arme Männlein halb tot in einer Ecke liegen ließen. 
In der Nacht aber kroch es mühsam durch einen Spalt in der Diele 
zum Leller hinab und von dort in die Erde zu seinen Brüdern. — Als 
nun die Zeit kam, daß die Frucht zum Schneiden reif war und auf 
beiden Äckern hoch und dicht stand, versammelten sich bei Nacht zahllose 
Zwerglein unter dem Acker des bösen Bauers, ihrer genau so viele, 
als Halme darauf standen. Ein jedes hing sich mit beiden Händen an 
eine Wurzel und zappelte und zog so lange daran, bis der Halm unter 
der Erde verschwunden war. Kommt der böse Bauersmann mit den 
Schnittern in der Frühe aufs Feld und sieht noch eben seine Ähren 
unter die Erde hinabschlüpfen, wie Millionen Mauseschwänzlein in 
Millionen Mauselöcher. Und dann steht sein ganzer Acker so leer da, 
als sei er soeben um und um gepflügt worden. Da hatte er für dies 
Jahr nicht« zu ernten und litt mit seiner bösen Frau und den hart¬ 
herzigen Lindern im Winter bittre Not. Und das geschah ihnen ganz 
recht. — An demselben Morgen kam auch der gute Bauer mit den 
Schnittern auf seinen Acker und sa'h schon von ferne die ganze Frucht 
tief zur Erde geneigt, als hätte der Hagelschlag sie niedergebrochen 
und ausgedroschen. Wie er aber ganz erschrocken hinzulief, da fand 
er, daß die Ähren gebeugt waren von schweren Lörnlein aus lauterem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.