§ 116.
Die ägyptische Kultur.
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seine regelmäßigen Überschwemmungen. Wenn am 21. März die Sonne
senkrecht über dem Äquator steht, dann schmilzt auf den Hochgebirgen,
welche die Quellen des Nils tragen, der Schnee, und der Fluß fängt allmählich
an zu steigen. Ende Juli tritt er dann aus seinen Ufern und überschwemmt
das ganze Land; nach und nach fällt er wieder auf seinen gewöhnlichen
Wasserstand und hat nun überall einen fruchtbaren Schlamm zurückgelassen.
Es ist dies die Erde, die er ans seiner weiten Wandrnng weggespült
hat und nun ablagert. Sie verleiht dem Lande eine staunenswerte Frucht-
barkeit. Bald, nachdem Ende September das Wasser sich verlausen hatte,
begann die Aussaat; in vier Monaten reifte das Getreide und lieferte
einen so reichen Ertrag, daß man mit Recht Ägypten die Kornkammer
der Alten Welt nennen konnte. Im Lande wuchsen außer Getreide noch
Dattelpalmen, Sykomoren, Feigenbäume, aus deren Holze man
Mumiensärge fertigte, Papyrus, eine Schilfart, aus der Schreibpapier
bereitet wurde, Lotus, Reis, Baumwolle usw. An mineralischen
Schätzen hatte das Land Mangel; darum mußten Kriegswaffen von
fremden Völkern, namentlich von den Phöniziern, bezogen werden.
3. Einteilung des Landes. Im Altertnme teilte man Ägypten in
Ober-, Mittel- und UItterägypten. In Oberägypten lagen Syene
und Theben, in Mittelägypten Memphis und in Unterägypten
Sais und Pelufium.
4. Das Volk. Die Ägypter waren den Semiten stammverwandt
und aus Asien eingewandert. Von den dunkelfarbigen Äthiopiern unter-
' schieden sie sich durch ihre hellbraune Hautfarbe.
§ 116. Die ägyptische ßnltui*1).
1. Religion, a) Gottheiten. Die Religion der Ägypter war eine
Naturreligion. Die Gottheit, deren ordnende Hand in dem Laufe der
Sonne, von der alles abhängt, zu erkennen ist, und der König, der die
sichernden Anordnungen ans Erden trifft, gehören in der Idee unbedingt
zusammen^). Die Götter traten unter abweichenden Namen auf; die vor-
uehmsteu sind Ra, Ptah und Ammon; sie bilden aber nur eine einzige
Gottheit unter verschiedenen Namens; darum werden ihnen auch dieselben
Eigenschaften beigelegt. Der höchste Gott ist nicht der Schöpfer, fondern
nur der Ordner der Welt.
In späterer Zeit verehrte man Osiris, Isis und Horns. Osiris
wurde von Typhon (Seth) und seinen 72 Genossen überfallen und getötet.
Duncker, Max: Geschichte des Altertums. 5. Aufl. I. Bd. Leipzig 1878.
2) Rauke, Leopold v.: Weltgeschichte. 5. Aufl. I. Bd. S. 11. Leipzig 1896.
3) Mit der Erhebung von Memphis zur Hauptstadt wurde Ptah, der Gott der
Stadt, zum Hauptgotte. Als Theben Sitz der Regierung wurde, erlangte der Stadtgott
Ammon von Theben die höchste Würde.
Beck u. Dahmen, Lehrbuch für den Geschichtsunterricht. I.Teil. 2.Aufl. 14