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89. Die französische Revolution und ihre ersten
Einwirkungen auf Deutschland.
So wahr es ist, dass Gottesfurcht und Tugend ein Volk gross und
glücklich machen, so wahr ist es auch, dass Gottvergessenheit und Laster¬
haftigkeit dasselbe von Stufe zu Stufe in einen Abgrund des schrecklichsten
Verderbens stürzen. Einen Beweis dafür liefert uns in abschreckender
Weise das französische Volk am Ende des vorigen Jahrhunderts. Nachdem
der Unglaube schon ein Jahrhundert früher in England tiefe Wurzeln
geschlagen hatte, verpflanzte er sich auch nach Frankreich. Das Land
wurde durch eine Flut schlechter Bücher überschwemmt, welche den
Glauben an die Wahrheiten der christlichen Religion zerstörten und dadurch
natürlich auch den Gehorsam gegen die von Gott-gesetzte Obrigkeit unter¬
gruben. Und als 1783 in Nordamerika sogar der Versuch gelungen war,
einen Freistaat ins Leben zu rufen, der vom Königtum und Kirchentum,
von Adel und Standesvorrechten, von einem stehenden Heere und von
noch mancher anderen Einrichtung völlig absah, welche dem herrschenden
Geiste der Ungebundenheit zuwider war, da gewann in verschiedenen
Schichten der europäischen Bevölkerung die Ansicht immer mehr Eingang,
die Staatseinrichtungen in der alten Welt müssten von Grund aus umgestaltet
werden, und man dürfe dabei selbst vor Aufruhr und Empörung, vor Krieg
und Gewaltthat nicht zurückschrecken. Die Unzufriedenen in Frankreich
machten sich die Geldverlegenheit zu nutze, in welche der Staat nicht
ohne Schuld Ludwigs XIV. und XV. geraten war.
Ludwig XVL, ein Fürst von reiner Sitte und edler Gesinnung, der
1774 den Thron von Frankreich bestiegen hatte, war ernstlich bemüht,
den drückenden Übelständen entgegenzuwirken. Leider aber gelang es
ihm nicht, sondern er selbst wurde das Opfer für die Sünden seiner Vor¬
gänger. Menschen, welche nichts oder nicht viel zu verlieren hatten, die
dagegen bei einer allgemeinen Verwirrung zu gewinnen hofften, wiegelten
das Volk auf, und im Jahre 1789 brach in Paris eine Revolution aus,
welche die furchtbarsten Schrecknisse und Greuel zur Folge hatte. An
die Stelle des Gesetzes trat Willkür und Pöbelherrschaft, und selbst das
Heiligste war der Lästerung und dem Spotte preisgegeben. Wer nur in
den Verdacht kam, missbilligend auf das hinzublicken, was die wütende
Rotte that, oder wer aus einem andern Grunde verhasst war, der wurde
umgebracht. Was aber in Paris geschah, ahmte man im ganzen Lande
nach. Der Frevel ging so weit, dass selbst das Leben des Königs
nicht mehr heilig war. Nachdem man ihn abgesetzt, verhaftet und
Frankreich zur Republik erklärt hatte, wurde er am 17. Januar 1793
zum Tode verurteilt und der 21. Januar zu seiner Hinrichtung bestimmt.
Auch seine Gemahlin, die Tochter der deutschen Kaiserin Maria Theresia,
und seine fromme Schwester Elisabeth endeten ihr Leben unter dem Fallbeile.
Fast eine Million Franzosen hat in den Greueln der Revolution gewaltsam
das Leben verloren. Es zeigte sich in dem sonst so gebildeten Frankreich
eine Roheit und Unmenschlichkeit, von der die Geschichte kein Beispiel
mehr aufzuweisen hat. Jene Ruchlosen, die sich gegen Thron und Altar
empörten, vollzogen selbst einer an dem andern die Strafe für ihr teuflisches
Beginnen; einer erwürgte den andern, um den Besitz der Herrschaft zu
erlangen oder sich darin zu behaupten.