Zustand der Künste in Rom. 91
eingenommen. Ein gewisser Römer*) pflegte zu sagen, je
mehr Griechisch einer wüßte, ein desto ärgerer Schelm wäre
er auch. Es ist freilich nicht zu läugnen, daß unter diesen
Leuten viele verworfene Geschöpfe waren, denn nicht allein
in Wissenschaften, sondern auch in Schlechtigkeiten unterrich⸗
teten sie die jungen Römer aus allen Kraͤften, so daß es
scheint, als wollten sie nicht die Schande haben, allein die
sittenloseste Nation auf dem Erdboden zu sein. Die Wissen—
schaft allein kann aber dem Menschen noch keinen Werth
eben; nur der steht hoch, welcher mit dem Wissen das rechte
verbindet, und nicht nur seinen Verstand, sondern
auch sein Herz und seinen Willen gebildet hat.
Die Wissenschaft, welche die Roͤmer seit dieser Zeit noch
mit dem größten Glücke betrieben haben, ist die gerichtliche
Beredtsamkeit. Die Processe wurden bei ihnen nicht schrift—
lich, sondern durchaus mündlich verhandelt. Der Sachwalter
des Klägers hielt vor den Richtern eine Rede; dann trat
der Sachwalter des Beklagten auf, und vertheidigte densel—
ben gleichfalls in einer Rede. Welcher von beiden nun die
Richter am deutlichsten überzeugt, oder am lebhaftesten ge—
rührt hatte, der erhielt ihre Slimmen, und damit war die
Sache entschieden.
Auch Schriftsteller standen jetzt, ermuntert durch die Grie—
chen, unter den Römern auf; ein Geschichtschreiber, ein Oe—
lonom, selbft einige Dichter, ziemlich roh und in einer ro—
hen Sprache, die sich aber zusehends bildete, seitdem Plau—
tus und später Terentius griechische Komödien fuͤr das
römische Volk bearbeiteten. Wir haben von beiden noch ach—
tungswerthe Stücke übrig. Die Römer leisteten am meisten
im Praktischen, im Kriegswesen, in der Staatsverwaltung
und in der Rechtspflege. So geistig gebildet, wie die Grie—
chen, wurden die Massen des römischen Volkes nie; für sie war
die griechische Tragodie zu hoch, und selbst die Komödie zu fein.
Einige Vornehme machten eine Ausnahme. Ihre Religion war
eine talte, auf abergläubische Gebräuche gegründete Staat s-
religion, die den Dichter und Künstler wenig begeisterte.
Die Hauptstadt des gebietenden Volkes, Rom, selbst war
9 Cicero's Großvater.