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noch höheren Sinne, als sie es hier meinte, eine „gnädige Frau" war,
wird von allen, die sie hier haben beobachten können, bestätigt. „Eine
Landesmutter in jenem frommen, deutschen Sinne, der eine Elisabeth trieb,
ihre Edelsteine zu verkaufen, um aus diesen Steinen Brot für die Armen
zu gewinnen, sah und grüßte Luise von Preußen in dem geringsten ihrer
Unterthanen einen Sohn oder eine Tochter; hob sie am Wege spielende
Kinder liebend empor auf ihre Arme, an ihr Herz; bückte sich tröstend
zu dem am Wege kauernden Mütterchen nieder, und wo es nicht der
milden Gabe bedurfte, dg ließ sie als Andenken wenigstens ein freund¬
liches Wort fallen, das unauslöschlich im Herzen der Angeredeten blieb."
Schon bei ihrem Einzuge in Berlin hatte die Kronprinzessin Luise
alle Herzen für sich gewonnen. Auf der Stelle, wo sich jetzt das eherne
Denkmal Friedrichs des Großen erhebt, hatte man eine prächtige Ehren¬
pforte erbaut, vor der, festlich geschmückt und Blumenkränze in den Händen
haltend, eine Schar von Knaben und Mädchen stand. Ein Mädchen trat
hervor und sprach in einem Gedicht der fürstlichen Braut die Wünsche der
Bevölkerung in so herzlicher Weise aus, daß die Kronprinzessin davon tief
gerührt ward. Sie beugte, dem Zuge ihres bewegten Herzens folgend,
sich nieder zu der lieblichen Sprecherin, schloß sie in ihre Arme und küßte
sie mit Innigkeit. In den Augen vieler glänzten Thränen. Die Frau
Oberhofmeisterin von Boß dagegen schauete starr vor Schrecken auf die
Scene. Die künftige Königin des Landes setzte sich über die zur Zeit
geltenden höfischen Gebräuche hinweg! Sich nahe zu der Fürstin beugend,
flüsterte die Frau Oberhofmeisterin aus gepreßter Brust: „Mein Gott!
was haben Eure königliche Hoheit gethan? Das ist ja gegen allen An¬
stand und Sitte!" „Wie?" lautete die harmlose Entgegnung Luisens,
„ich darf das nicht mehr thun?"
Ihre Worte wurden von der Umgebung gehört und in dem rechten
Sinne gewürdigt. Bald vernahm man von Zügen ähnlicher Art, und das
Volk sagte sich: Luise wird nicht nur Königin, sie wird eine wahrhafte
Landesmutter werden. Mancher im Volke, der von der Kurfürstin Luise
von Oranien, die vor länger als hundert Jahren zur ewigen Ruhe ein¬
gegangen war, gehört oder gelesen hatte, sagte: In der jungen Fürstin ist
die Unvergeßliche dem Lande wiedergekehrt.
Auch nach der Thronbesteigung blieb Paretz für den Sommer der
Lieblingsaufenthalt der königlichen Familie. Ein fast täglicher Tischgenosse
war der alte General von Köckeritz. Eines Tages fragte Luise den Ge¬
mahl, weshalb sich jener regelmäßig so auffallend schnell nach dem letzten
Gange entfernte, statt noch eine Zeit lang an dem Gespräche Theil zu
nehmen. „Laß den alten Mann in Ruhe», versetzte der König, „der muß
nach Tische seine häusliche Bequemlichkeit haben." Die Königin vernahm
darauf, was es mit dieser „häuslichen Bequemlichkeit" zu besagen hatte, und
am nächsten Tage, als Köckeritz sich wieder um die gewöhnliche Zeit erhob, trat
sie ihm, in der einen Hand eine gestopfte Pfeife, in der andern einen brennen¬
den Wachsslock haltend, entgegen und sagte mit gewinnender Freundlichkeit:
„Rein, lieber Köckeritz, heute sollen Sie mir nicht wieder entwischen; Sie
müssen hier bei uns Ihre gewohnte Pfeife rauchen, — stecken Sie an!"
Freundlich lächelnd sagte der König: „Das hast du gut gemacht, liebe Luise."
Ferd. Schmidt.