Full text: Lesebuch zur Geschichte der deutschen Literatur alter und neuer Zeit

Neudeutsche Literatur. 
42 hHeinrich Steffens 
. 131 178. Ahrb. . 1050) 
Schneefahrt in Norwegen. 
(Aus dem Roman „Malkolm“) 
(Abgekürzt.) 
Es war vier Tage vor Weihnachtabend und ein klingender Frost. In 
dem hohen Gebirge, da, wo schon die Fichten und Tannen als niedriges Ge— 
slrüppe erscheinen, und nur die Birken noch einigermaßen gedeihen, lag, an 
einem Whange, eine einsame Hütte. Im Sommer diente sie als Säterey 
Sennhüutte); jetzt war sie verlassen. Der tiefe Schnee bedeckte die ganze Hoch— 
bene. Das niedrige Tannen- und Fichtengestrüppe war schwer mit Schnee 
beladen, schroffe Felfenwände traten als mächtige, finstere Parthien hervor und 
die Hülte agle laum mit dem schwer beladenen Dache aus den Schneemassen 
hervor. Gegen Norden und Westen, nach der Anhöhe zu, war sie ganz be— 
deckt, gegen Osten und Süden blickten die dunkeln Wände hervor und starke 
Eiszapfen hingen von dem Dache herunter. Auf der westlichen Seite war 
der Schnee muͤhsam von dem Eingange weggeräumt; in einiger Entfernung 
sah man die mächtige Masse desselben aufgehäuft, und Stufen hineingearbeitet, 
die zu dem kleinen, entblößten Raume vor dem Hause führten. Es war in 
der Morgendämmerung; der Mond, im letzten Viertel, schien kalt und seltsam 
in die ode, hohe, verlassene Gegend hinein und einzelne Sterne flimmerten noch 
an dem wolkenlosen Himmel. Zwei Männer traten aus der Hütte hervor; 
ein älterer mit einem Mantelsacke belastet, in einen dicken Ueberrock eingehüllt; 
der jungere, für die Jahreszeit äußerst leicht bekleidet; beide trugen die langen 
Skie (Schneeschuhe) auf den Schultern. Sie stiegen langsam und bedächtig 
die Schneestufen hinan, blickten spähend in die Dämmerung hinein und ban— 
den die Slie an die Füße. Torger, sagte Strom, der jüngere, zu seinem 
rustigen Begleiter — das Wetter begünstigt uns, der Morgen steigt heiter 
und klar herauf, der Schnee liegt fest, wir werden schnell über das Gebirge 
wegschreiten und ich Glücklicher werde meine Dorothea überraschen, werde 
wenigstens zwei Tage früher in Swennans ankommen als der Schlitten, der sich 
Unten mühsam durch die Thäler winden muß. Ja, antwortete Torger, die 
Dordi wird sich freuen und ich auch; habe ich doch das liebliche Kind, seit 
ihr euch vor drei Jahren weinend trennen mußtet, gar nicht gesehen. Gewiß 
ist sie in der Zeit noch schöner geworden. Vorwärts! rief Storm, und warf 
einen stillen Buck auf die öde Hülte, in welcher sie die Nacht zugebracht hatten. 
Mühsam erstiegen sie eine bedeutende Höhe, und von der großen Anstrengung, 
der schneidenden Kälte ungeachtet, erhiht, erreichten sie die weite Gebirgsebene. 
Die Morgendämmerung war indessen gewichen; aus der Ferne erhoben sich, 
in Kegelform und als spitzige Hörner, mächtige Berge, schneebedeckt, von den 
Strahlen der niedrigstehenden Sonne glühend erleuchtet. Die weite Ebene 
dehnte sich einförmig nach Norden und Westen aus, aller Baumwuchs war 
verschwunden, und die erstarrten, schneebedeckten, kahlen Bergfirnen von der 
Felsenebene nicht zu unterscheiden. Tiefe Schluchten schnitten wild in die 
Ebene ein, zerstreute Berge erhoben ihre Häupter, und, wie die Sonne höher 
stieg, glänzte alles von ihrem röthlichen Scheine. 7 
Storm verlor sich in die großartige Umgebung. Berge von ungeheurer 
Groͤße, in weiter Ferne, schienen nahe gerückt, Bergrücken dehnten sich in die 
Länge, Kegel, Zacken, Spitzen, Pyramiden erhoben sich, ein jeder Schritt ver— 
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