Innere Angelegenheiten des Preußischen Staates.
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3. Durch die Jnvaliditäts- und Altersversicherung wird den
Arbeitern beim Eintritt in das siebzigste Lebensjahr oder, sosern sie
dauernd erwerbsunfähig geworden sind, eine jährliche Rente zugesichert.
Die hierzu erforderlichen Beträge, deren Höhe nach fünf Lohnklassen
abgestuft ist, werden vom Arbeitgeber und -nehmer zu gleichen Teilen
durch Einkleben von Wochenmarken, außerdem durch einen Reichszuschuß
aufgebracht. Die Auszahlung der Rente erfolgt durch die Post; der
Höchstbetrag ist 450 Mark. Kein andrer Staat hat so viel für die
Arbeiter getan.
Die Reichsversicherungsordnung von 1911 hat die sozialen Ver-
sichernngen vereinheitlicht und erleichtert. Die Krankenkassenversicheruugs-
pslicht ist auf mindestens weitere fünf Millionen Arbeiter: Landarbeiter,
Heimarbeiter und häusliches Dienstpersonal (Dienstboten) aus-
gedehnt, die Bezüge sind erhöht worden*).
Nunmehr erhält auch jede invalide Witwe ein Witwengeld und eine
Waisenrente sHinterbliebenenversichernng; die Rente richtet sich nach der
Zahl der Beitragswochen). Dazu kommt eine Heilfürsorge, welche sür
kranke Arbeiter und Arbeiterinnen die Benutzung von Heilstätten, Bädern
u. dgl. vorsieht.
Schon das Arbeiterschutzgesetz von 1891 forderte Vorkehrungen zur
Sicherung des Lebens, der Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeiter. Die
Arbeit an Sonn- und Festtagen ist verboten oder gekürzt, auch
Frauen- und Kinderarbeit zeitlich beschränkt worden. Die Aufsicht
über die Durchführung dieser Bestimmungen ist den Fabrik- und Ge-
Werbeinspektoren übertragen. Die „Fürsorgeerziehung" dient auch
der Erziehung Minderjähriger. Die Organe der Selbstverwaltung, kirch-
liche Genossenschaften und privater Wohltätigkeitssinn bemühen sich, der
sozialen Not zu steuern.
Innere Angelegenheiten des Preußischen Staates.
§ 131. Reform der Landesverwaltung. In den ersten Jahrzehnten
nach Gründung des Reiches wurde die innere Landesverwaltung
Preußens einer Reform unterworfen. Hatte bisher ihr Schwerpunkt
fast ausschließlich in den Händen der Staatsbehörden gelegen, ins-
besondere der Oberpräsidien, Regierungen und Landräte, und hatten die
Provinzial- und Kreisstände im wesentlichen nur eine beratende, keine
bestimmende Tätigkeit ausgeübt, so trat jetzt an Stelle der Zentralisation
die Dezentralisation, an Stelle der Verwaltung durch die Organe des
Staates die Selbstverwaltung der Gemeinden; es ging ein Teil der
*) Die Verwaltung der Krankenkassen liegt in den Händen eines Vorstandes, der
von den Ausschüssen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewählt wird; der Vorsitzende
muß in beiden Gruppen die Stimmenmehrheit erhalten haben, sonst wird er vom Ver-
sicherungsamte bestellt.