258
türkisch-asiatischen Küste werden. Die Sclavinnen für die türkischen
Harems waren früher der einträglichste Ausfuhrartikel. Das Uebrige,
was in der Zeit, da sich der Sultan noch für den Oberherrn des Kau¬
kasus hielt, aus dem Tscherkessenlande kam, etwas Wolle, Häute, Talg,
Wachs und Honig, war nicht der Rede werth. Fast noch unbedeutender
war die Einfuhr, denn die Tscherkessen kauften nur Tabak, Salz und
Kriegsmunition. Bei wenig Bedürfnissen genügen ihnen die spärlichen
Erzeugnisse ihres Landes.
In religiösen Dingen ist der Tscherkesse sehr indifferent und keines¬
wegs ein eifriger Anhänger des Islam. Wäre bei ihm der Fanatismus
wie bei den Kabylen in Afrika, so wäre er den Russen weit furchtbarer
gewesen. Gleich andern uncultivirten Völkern hat er den Haß gegen
Fremde, unerbittliche Härte gegen den Feind, Eifersucht gegen den Nach¬
bar und Freund, unersättliche Habgierde, Mißtrauen, Verstellungskunst
und Rachsucht gegen Alle; aber auch Anhänglichkeit an das Stammland
und die Sitten der Ahnen, liebevolle Achtung für seine Väter und Greise,
Gastfreundschaft, energischen Freiheitssinn. Vor den Gegnern der Fran¬
zosen , den Kabylen und Arabern des Atlasgebirges haben die Tscher¬
kessen die größere Tapferkeit, die Treue des gegebenen Worts und einen
gewissen Grad von Keuschheit voraus. Mit den afrikanischen Barbaren
theilen sie aber die unersättliche Geldgier, welche den Russen das Mittel
gewährt, Spione in Menge zu erkaufen. So mächtig auch die alte Sitte
der Blutrache im Kaukasus ist, so wird sie doch durch die noch mächtigere
Habsucht überwunden. Der Tscherkesse versöhnt sich selbst mit dem Mörder
seines Vaters, der ihm den üblichen Blutpreis, die hundert oder zwei¬
hundert Ochsen, richtig bezahlt.
Was persönliche Tapferkeit und Geschicklichkeit in Führung der Waf¬
fen betrifft, ist der Tscherkesse den Russen unbestreitbar überlegen; ihn
durchdringt eine glühende Begeisterung für seine Sache, die natürlich dem
gemeinen russischen Soldaten gänzlich abgehl. Im Einzelkampf unterliegt
gewöhnlich der russische Tirailleur mit gefälltem Bajonnet gegen den mit
gezückter Schaschka anstürmenden Tscherkessen und Tschetschenzen. Wenn
fünfzig tscherkessische Reiter auf fünfzig tschernomorische oder donische Ko¬
saken sich werfen, nehmen letztere in der Regel Reißaus.
Der russische Dichter Puschkin hat uns treffliche Schilderungen von
dem Tscherkessenleben gegeben in seinen Gedichten, von denen wir eines
in der Uebersetzung mittheilen.
Kein Mondesstrahl erhellt die Nacht,
Die rings die nahen Hügel deckte.
Am Eichstamm, den der Blitze Macht
Zerschmettert in den Bergstrom streckte,
Jetzt ein Tscherkeß sein Kriegsgewand,
Schild, Helm und Burka, Pfeil und Bogen
An hundertjähr'ge Wurzeln band,
Und warf sich schweigend in die Wogen.