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dem Grabe aufgestellt ist, als Sinnbild des göttlichen Lebens inmitten des
Todes, ihr Gebet zu verrichten. Die römischen Prinzessinnen an der Seite
der armen Fremdlinge gewähren ein wohlthuendes Gefühl des Christen¬
thums, das in die Welt gekommen ist für die Armen und Kleinen, wie
für die Reichen und Großen.
Am Abend dieses Tages, als schon die Schatten der Nacht die Ba¬
silika erfüllten, ging ich von Capelle zu Capelle und war glücklich in der
Sammlung meines Gemüths, die mir durch die Abwesenheit der Menge
vergönnt war. Mitten im Schiss war ein großer Leuchter angezündet,
denn die 112 Lampen des „Glaubensbekenntnisses des heiligen Petrus"
dursten in dieser Trauerzeit nicht angesteckt werden; nur noch von einem
Punkte in dem großen dunklen Raume strahlte ein Helles Licht: das kam
von den vielen Kerzen am heiligen Grabe, vor dessen Altäre Männer und
Frauen auf die rührendste Weise niedergekniet waren und beteten. Die¬
jenigen, welchen man um diese Stunde in der Metropole begegnete, waren
keine Neugierigen, sondern fromme Gläubige. — Auch der Reliquiensegen
ward dann noch an diesem Abend gespendet, lieber der Bildsäule der
heiligen Veronica war ein Kreuz von Wachskerzen angezündet, und auf
einer kleinen Tribüne stand ein Priester, um die Umstehenden mit den
heiligen Reliquien einzusegnen: ein Stück von dem Holz des echten Kreu¬
zes Jesu, ein Splitter von der heiligen Lanze, der Schleier der heiligen
Veronica — jede einzelne Reliquie war in eine silberne Sonne gefaßt, die
ringsum in einer Strahlenhülle leuchtete und das schönste Lichtspiel bil¬
dete. Schweigend auf das Pflaster des Schiffes niedergestreckt, beteten
die Versammelten sie an.
Der Schwarm von Fremden hatte sie in dem zerstreuenden Lärme
der vorigen Tage müde gemacht, ja Einige hatten sogar für ihre Neugier
büßen müssen. So ging die Ceremonie der Kreuzanbetung in der Sixti¬
nischen Capelle um 10 Uhr früh des Charfreitags mit einer Stille vor¬
über, wie sie die ehrsurchtgebietende Würde der gottesdienstlichen Hand¬
lung an diesem Tage erheischte. Die Anbetung des Kreuzes von Seiten
des heiligen Vaters, der Cardinäle und Prälaten stellte mir ein erhabenes
und zugleich rührendes Beispiel vor die Seele; es war ergreifend, den
Kirchensürsten, einen ehrwürdigen Greis, mit entblößtem Haupte und nack¬
ten Füßen, die Hände gefaltet, sich hinwerfen zu sehen vor dem Holze,
welches das Werk der Erlösung uns vorhält; zu sehen, wie die obersten
Priester der Kirche in tiefer Demuth vor dem Kreuze sich beugten: in
diesem Augenblicke war aller menschliche Glanz und Pomp und Rang¬
unterschied verschwunden, jede andere Größe verblichen vor jener Größe,
die das heilige Holz andeutet; und diese Anbetung des Kreuzes geschah
zu Rom, in derselben Hauptstadt „der Welt", welche einst das Kreuz mit
Feuer und Schwert verfolgte und seine Anbeter mit der größten Schande
bedeckte! Während der Ceremonie ließ die Capelle Gesänge von wunder¬
barster Einfachheit, aber tief in's Herz dringender religiöser Empfindung