19. Die Schwalm.
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am Ofen mit gefalteten Händen gesessen und dem Gespräche gelauscht. „Äch
fäng's zefräre" (ich bin's zufrieden), ist die Antwort. Nach den herkömm¬
lichen vierzehn Tagen wird „der Handschlag" (die Verlobung) sein. Dann
kommt der Bräutigam mit seinen Freunden und dem Freiersmann, und alle
nehmen an den mit Speisen und Getränken überladenen Tischen Platz mit 5
den Eltern und Verwandten der Braut. Nun hält der Freiersmann eine
Rede und bittet um Auslieferung der Braut. Letzteres wird versprochen, und
man zieht ein Mädchen aus der Kammer, doch „ach, die rechte ist es nicht".
Das Suchen wird fortgesetzt, bis endlich die Braut hervorgezogen wird. Jetzt
sitzen die Verlobten zusammen, essen von einem Teller und trinken aus einem 10
Glase. Die gesamte Gesellschaft aber tut dem Aufgetragenen alle Ehre an,
und hinter den seidenen Halsbinden verschwinden große Mengen von Weck¬
suppe, Fleisch, Hirsebrei usw. Die jungen Burschen und Mädchen des Dorfes
bringen ein Ständchen und werden mit Kuchen und Bier bewirtet. Freuden-
schüsse werden abgefeuert, das Fest hat seinen Höhepunkt erreicht. 15
Die Hochzeit, bei welcher die Braut altem Herkommen gemäß die
traubengeschmückte „Schappel" trägt, läßt nicht lange auf sich warten. Etliche
Tage oder auch Wochen später hält die junge Frau ihren „Einzug". Das
ist ein hoher Familicnfesttag. Dort kommen sie. Der Kinderjnbel ver¬
kündetes. Vorn auf dem ersten Wagen sitzt das junge Paar; reich mit 20
Blumen und Laubgewinden ist der „Brautwagen" geschmückt. Der Schwieger¬
vater tritt der jungen Frau vor dem Hause mit einem Glase Kornbranntwein
entgegen. Herzhaft trinkt sie es aus und wirft es altem Brauche gemäß
gegen den Wagen, daß es zerbricht. Dann eilt sie zur Schwiegermutter auf
der obersten Treppenstufe. Nun fährt der „Kammerwagen" mit der Aus- 25
stattung vor. Hoch oben auf den buntbemalten Truhen thronen Wiege und
Spinnrad, und so viel goldbemalte Weidenkörbe oben stehen, so viele mal
tausend Taler oder Mark bringt die junge Frau mit. Bei den Beiten aber
sitzen zwei geschappelte Brautjungfern; Pferde und Lenker und Wagen sind
natürlich mit Blumen, Laubgewinden und bunten Bändern geschmückt. Nun 30
tritt der junge Ehemann an den Wagen, die beiden Geschappelten erheben
sich, fassen einen ansehnlichen Packen in ein Bettuch geschlagenes Bettzeug,
schwingen ihn etliche Male hin und her und werfen ihn im Schwünge herab.
Der junge Ehemann muß ihn auffangen, ohne zu wanken, und ins Haus
tragen. Läßt er den Packen fallen, dann braucht er für den Spott nicht zu 35
sorgen; Zuschauer sind immer genug vorhanden. Ist der Kammerwagen
abgeladen, so wird Flachs an die Umstehenden verteilt, und damit hat die
junge Frau Bürgerrecht im Dorfe erhalten. R-inh°id Schwede (Hess. Lesebuch).