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Sechstes Luch. Heue Zeit. Das zweite klassische Zeitalter.
Die Rosen öffnen sich und spiegeln
an der Sonne
Des kühlen Morgens Perlentau;
Der Lilien Ambradampf belebt zu unsrer
Wonne
Der zarten Blätter Atlasgrau.
Der wache Feldmann eilt niit Singen
in die Felder
Und treibt vergnügt den schweren Pflug;
Der Vögel rege Schar erfüllet Luft und
Wälder
Mit ihrer Stimm' und frühem Flug.
O Schöpfer! was ich seh', sind deiner
Allmacht Werke.
Du bist die Seele der Natur;
Der Sterne Lauf und Licht, der Sonne
Glanz und Stärke
Sind deiner Hand Geschöpf und Spur.
Du steckst die Fackel an, die in dem
Mond uns leuchtet,
Du giebst den Winden Flügel z»;
Du leihst der Nacht den Tau, womit
sie uns befeuchtet,
Du teilst der Sterne Lauf und Ruh'.
Du hast der Berge Stoff aus Thon
und Staub gedrehet,
Der Schachten Erz aus Sand
geschmelzt;
Du hast das Firmament an seinen Ort
erhöhet,
Der Wolken Kleid darum gewälzt.
Den Fisch, der Ströme bläst und mit
dem Schwänze stürmet,
Hast du mit Adern ausgehöhlt:
Du hast den Elefant aus Erden auf¬
getürmet
Und seinen Knochenberg beseelt.
Des weiten Himmelraums saphirene
Gewölber,
Gegründet auf den leeren Ort,
Der Gottheit große Stadt, begrenzt
nur durch sich selber,
Hob aus dem Nichts dein einzig' Wort.
Doch dreimal großer Gott! es sind
erschaffne Seelen
Für deine Thaten viel zu klein;
Sie sind unendlich groß, und wer sie
will erzählen,
Muß gleich wie du ohn' Ende sein.
O Unbegreiflicher! ich bleib in meinen
Schranken,
Du, Sonne, blend'st mein schwaches Licht;
Und wem der Himmel selbst sein Wesen
hat zu danken,
Braucht eines Wurmes Lobspruch nicht.
von Haller.
Der Fuchs und die Trauben.
Ein Fnchs, der auf die Beute ging,
Traf einen Weinslock an, der, voll von salben Trauben,
Um einen hohen Ulmbaum hing;
Sie schienen gut genug, die Kunst war abzuklauben.
Er schlich sich hin und her, den Zugang auszuspühn,
Umsonst, es war zu hoch, kein Sprung war abzuseyn.
Der Schalk dacht' in sich selbst: ich muß mich nicht beschämen.
Er sprach und macht dabei ein hämisches Gesicht,
Was soll ich mir so viel Mühe nehmen.
Sie sind ja sau'r und taugen nicht.
So geht's der Wissenschaft. Verachtung geht für Müh,
Wer sie nicht hat, der tadelt sie. von Haller.
Die Schweiz.
(Fragment aus dem Gedicht „Die Alpen.")
Hat nun die müde Welt sich in den Frost begraben,
Der Berge Thäler Eis, die Spitzen Schnee bedeckt,
Ruht das erschöpfte Feld nun aus für neue Gaben,
Weil ein krystallner Damm der Flüsse Lauf versteckt;