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9. Die Königin Luise in Magdeburg. 
Eine Jugenderinnerung. 
(Karl Jmmermann.) 
Eines Morgens (1806) legte mein Vater mit ernstem Antlitz seine gestickte 
Unisorm an, in der ich ihn noch nie gesehen hatte, und in welcher er mir, 
den Degen an der Seite, den dreieckigen Hut ans dem Haupte, wunderbar 
fremd vorkam. Ich drückte mich, nachdem ich den Glanz dieses Anblicks 
oben ans des Vaters Zimmer eingesogen, unten in eine Ecke des Hausflurs, 
um den Genuß noch einmal zu haben. Er schritt an mir vorüber, ohne 
mich wahrzunehmen, nachdenklich vor sich hinsehend, und ich war ganz er¬ 
schüttert und betäubt, denn ich hatte keine Ahnung davon gehabt, daß ein 
solcher Prachtrock in der Welt, geschweige, daß er im Hanse sei. 
Gleich nachher donnerten die Kanonen, läuteten die Glocken, sprengten 
die roten Kammerhusaren durch die Straße, lärmte und schrie das Volk, 
im wildesten Rennen nach dem Brückthore lausend. Es >var uns Kindern 
streng verboten worden, uns in das Getümmel zu wagen; aber wie wäre 
da Haltens gewesen! — Das Haus war von seinen Bewohnern geleert und 
nur der Hut einer alten Wärterin anvertraut. An der vorbeizukommen, 
hielt nicht schwer. Rasch hatte ich die Thür hinter mir und war mit den 
letzten Nachzüglern auch im vollen Rennen nach dem Brückthore. Aber in 
der Nähe desselben kamen uns glänzende Equipagen entgegen gefahren; 
nachflutete der Volksstrom dem Fürstenwalle zu. Von diesen Wogen wurde 
auch ich gefaßt; nun schwamm ich mit der Flut und wurde von ihr ruck¬ 
weise auf die Stirn des Walles befördert. 
Dort stand Kopf an Kopf, und es schien fast unmöglich, bis zum 
Gonvernementsgebünde vorzudringen, in welchem die Majestäten abgestiegen 
waren. Aber was wäre einem von Neugier brennenden Knaben in solchem 
Falle unausführbar? Gehend und kriechend, schiebend und geschoben, stoßend 
und gestoßen, schrotete ich mich die schwarze Menschenmasse hindurch und 
gelangte endlich glücklich, wenn auch etwas gequetscht, an einen Ort, wo 
ich nun unter den Vordersten gerade der großen Salonthür gegenüber stand, 
in welcher die Herrscher erscheinen mußten, wenn sie sich, wie jedermann 
erwartete, dem Volke zeigen wollten. 
Da stand ich denn also an der glücklichsten Stelle. Aber bald überfiel 
mich ein entsetzliches Bangen. Im Kampf und Ringen stürmt der Mensch, 
sich bewußtlos, auf die schmale Zinne eines Turmes hinauf; aber wenn er 
die Zinne erobert hat und nun da droben steht, kann ihm schwindlig werden. 
Mir fiel plötzlich zentnerschwer aufs Herz, daß ich denn doch wider das
	        
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