Becker: Odysseus giebt sich den Phäaken zu erkennen.
aus friedfertigen Landes hatte sich das Volk zu seltener Bildung und
Betriebsamkeit erhoben.
Odysseus' göttliche Freundin, Athene, ersann nun, während der
Ermüdete schlief, ein Mittel, um ihn, wenn er erwacht sein würde, mit
guter Art zu der Bekanntschaft der Vornehmsten der Insel zu führen
und ihm eine gastliche Aufnahme bei denselben zu bereiten.
Am nächsten Morgen nämlich kam Nausikaa, des Königs Alcinous
Tochter, wie Athene im Traume ihr eingegeben hatte, an das Ufer des
Flusses gefahren, wo Odysseus schlief, um mit ihren Mägden in den
klaren Wellen die Mäntel, Gewänder und Decken der königlichen Familie
zu waschen. Während das Zeug auf dem reinen Uferkies zum Trocknen
ausgebreitet lag, ergötzten sich die scherzenden Mädchen mit Ballspiel.
Die schalkhafte Nausikaa wollte eben eine andere mit dem Balle werfen;
aber der Ball traf nicht und fiel weit weg in den Strom hinein Wie
kreischten die mutwilligen Mädchen auf! Von den Ufern schallte der
Jubel wieder; denn die Mädchen konnten nicht aufhören, frohlockend in
die Hände zu klatschen. Und siehe, wunderbar hatte es Athene so ver—
anstaltet. Denn gerade das laute Gelächter weckte den schlafenden
Odysseus, der bis dahin in seinem Gebüsche weder etwas von den
nahen Wäscherinnen gehört hatte noch von ihnen bemerkt war. Er
richtete sich horchend auf, rieb sich die Augen und zupfte sich die
Blätter aus Bart und Haar.
Halt, dachte er, das sind Menschen. Aber wehe mir, was für
Menschen werden es sein? Unmenschliche Räuber vielleicht und rohe
Barbaren, die meine Sprache nicht verstehen und von Göttern und
Gastfreundschaft nichts wissen. Aber es klang ja wie Mädchengekreisch,
und sie lachten so herzlich; gefährlich kann das nicht sein, dachte er. Ich
muß nur hervorkriechen und die Menschenkinder besehen. Er wand sich
aus dem Dickicht heraus, schüttelte das Laub von sich, und weil er ganz
unbekleidet war und sich billig schämte, nackt vor ihnen zu erscheinen,
so brach er sich mit nerviger Faust einen buschigen Zweig ab und
hielt ihn vor den Leib, um seine Blöße damit zu decken. So kam
er wie ein wildes Waldungeheuer hervor. Die Mädchen, die ihn von
ferne kommen sahen, erschraken, schrieen laut auf und liefen davon.
Nausikaa jedoch war ein beherztes Mädchen. Sie blieb ruhig stehen
und erwartete den näher kommenden Mann, der sie um Kleider und
weitere Hilfe anflehte. Sie schickte ihm einige der frisch gewaschenen
Gewänder, ließ ihn mit Speise und Trank erquicken und riet ihm, in
die Stadt der Phäaken zu gehen und im Palast ihres Vaters um gast—
liche Aufnahme zu bitten. Dann bestieg sie mit ihren Begleiterinnen
den wäschebeladenen Wagen und fuhr in die Stadt zurück.
Die Sonne war schon untergegangen, und alles war dunkel umher,
als der Held sich aufmachte, um in die Stadt der Phäaken zu gehen.