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denken kann, sondern wie ein lebendiges Wesen, zu dessen Gliedern man
selbst mit gehört, mit dem man empfindet, fühlt und will. Darum eben
gehört nicht nur das topographische, sondern auch das naturgeschichtliche,
das geschichtliche und soziologische Element mit zur Heimatkunde. Der
Lehrer soll aber auch bei seinem Unterrichtsverfahren diese Beziehung des
Individuums zum Ganzen beachten. Bei manchen Gegenständen er¬
gibt es sich von selbst. Daß das heimatliche Ährenfeld uns Brot, das
Vieh im Stalle des Bauern uns Fleisch, der Brunnen im Hofe, die
Quelle im Walde uns Wasser zu frischem Trünke geben, bedarf nur des
Hinweises) aber daß auch die gesamten Lebensverhältnisse des Menschen
in der Natur der Heimat wurzeln, soll nicht nur erkannt, sondern auch
gewürdigt werden. Nicht minder ist darauf zu achten, daß sich durch
das Zusammenleben der Menschen auch ein Gemeinschaftsgefühl heraus¬
gebildet hat, welches sich sorgend um jedes Glied der Gesamtheit be¬
kümmert.
Die Vorstellung Heimat umschließt alle Beziehungen des Kindes zu
Vaterhaus, Eltern, Geschwistern, Freunden und Bekannten. Lockern sie
sich, dann fallen die zarten Blüten, welche aus jenem innigen Verhält¬
nisse entsproßten, Achtung vor dem Bestehenden, Bescheidenheit gegen das
Alter, Ehrerbietung vor den Eltern, innige Zuneigung zu den Geschwistern,
herzliches Vertrauen zu den Freunden, auf den Boden kalter Selbst¬
sucht und werden im Kampfe mit den wirtschaftlichen Sorgen zertreten
oder im Schmutze roher Sinnlichkeit vernichtet. Und nicht nur an Per¬
sonen, auch an Dinge knüpft sich unser Heimatgefühl. Der Bach, mit
dessen Steinchen wir spielten, der Dorfanger, auf dem wir in toller
Jugendlust umhersprangen, der Kirchturm, dessen Höhe unser Staunen
erregte, ja selbst der dunkle Hof am Hintergebäude bergen in sich den
Zauber froher Kindheitstage. Der Lehrer muß nur verstehen, die Be¬
trachtung an geeigneter Stelle in das Gewand kindlicher Poesie zu kleiden,
damit alles, was den Schüler in der Heimat umgibt, Leben atmet)
dann nickt uns das Blümlein auf der Wiese freundlich zu, dann berichtet
uns der Bach im Tale von seiner Reise, und der Kirchturm mit seinem
grauen Haupte erzählt aus längst vergangener Zeit. Volksbrauch und
Volkssitte, Volkssprache und Volkslied tragen zur Belebung bei und
helfen in sinniger Weise die Fäden knüpfen zwischen Schule und Eltern¬
haus. So nützt der Lehrer die kindliche Phantasie zu edlem Dienste.
Das Kind hört den Unterricht nicht nur, sondern es lebt ihn und wächst
dabei fest in den Organismus Heimat hinein. Damit aber ist das
ethische Ziel der Heimatkunde erreicht.