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Die Zuckertüte. 
1. Aber da tat der Tramwagen plötzlich einen kräftigen Ruck. 
Die Leute, die darin saßen, wurden ordentlich gerüttelt und geschüttelt 
und stießen gar hart aneinander. Da wachte das Kind der armen 
Frau auf und fing so entsetzlich zu schreien an, daß sich die Leute 
im Wagen mit beiden Händen die Ohren zuhielten. Aber die arme 
Frau brauchte sich ihres Kindleins nicht zu schämen. Denn im 
Wagen saßen hart neben ihr zwei große Schulmädchen. Die zankten 
und stritten sich mit einander herum und machten auch einen recht 
großen Lärm. Man hörte es nur nicht so, wie die beiden einander 
böse Worte sagten, weil das Kind der armen Frau noch lauter 
war als sie. Die Mutter wiegte nun aber ihr Kleines, damit doch 
wenigstens dieses einmal still werde. 
2, Dabei fiel ihr das Paket auf den Boden, das auf ihrem 
Schoß gelegen war, und ging auf. Eine Schürze fiel heraus. Ida hob 
ihr diese auf und sagte ganz freundlich: „Sie wollen wohl bei fremden 
Leuten schaffen gehen?“ „Ja,“ sagte die arme Frau ganz traurig 
und vergrämt, „hab niemand daheim, der mir das Kindlein hütet.“ 
Da zog Ida ihre Zuckertüte aus der Tasche heraus und reichte sie 
der armen Frau, und diese gab ihrem Kleinen ein Stücklein davon. 
Da wurde es mit einem Male ganz still im Wagen. Das Kind der 
armen Frau schwieg, und auch die streitenden Mädchen hielten mit 
ihrem Gezänke inne; denn sie wollten ja nicht gehört sein. 
Als wir die Näherin hatten. 
Der Vater ging heute nicht wie sonst vom Geschäfte nach Hause. 
Er wußte warum. Die Näherin war daheim, und da war allemal 
großer Lärm und große Unordnung. Da rasselte die Nähmaschine 
vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Da lagen die Tuch⸗ 
fetzen und Reihfäden auf dem Boden umher. Da waren alle Tische 
und Stühle belegt mit Muster und Futter und Tuch, daß man meinte, 
man wäre in einer Schneiderstube. Aber die Ida freute sich, als 
die Näherin da war; denn sie bekam ein neues, blaues Kleid mit 
Rüschen und Spitzen und Bändern. Und auch Annchen saß ganz 
stillbergnügt in der Ecke; denn es erhielt alle die vielen bunten 
Tuchflecke, die am Boden umherlagen, und durfte seinem Püpp⸗ 
chen, dem Lieschen, ein neues Kleidchen davon machen.
	        
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