Die kulturelle Umgestaltung des Landes 15
Städtebau in Süd und Nord, in West unb Ost erkennen wir die Verschie¬
denheit der Gesteine wieder, die der deutsche Boden liefert.
Zuerst diente deutsches Land wesentlich der Landwirtschaft in den bis
heute wichtigsten Ackerbaulandschaften Nord- unt> Oberdeutschlands. Nord¬
deutschland mit seinen Großgrundbesitzern, wo sieben Zehntel aller deutschen
landwirtschaftlichen Großbetriebe liegen, ist klimatisch gegenüber dem Land
der mittleren Bauern in Oberdeutschland so begünstigt, daß selbst kleine Güter
den Kleinbauern ernähren können. Das westliche Deutschland einschließlich
des wirtschaftlich nicht abzutrennenden Flanderns und die Meeresküsten wie¬
sen den Deutschen hinaus auf das Meer und waren die ersten großen Han¬
delsgebiete, die zuerst zur Zeit der Hansa blühten. Das Mittelgebirge, dߣ
im Innern und am Rande die reichen Bodenschätze birgt, war das eigent¬
liche Ursprungsland deutscher Industrie. Größte Volksdichte und geringe
Entfernung der Großstädte voneinander kennzeichnen die drei obengenannten
Kohlengebiete. Im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung blieben Landwirt¬
schaft, Handel und Industrie nicht unabhängig voneinander, sondern vor
allem die Industrie breitete sich weiter aus. Sie verarbeitete landwirtschaft¬
liche Massenerzeugnisse, wie die Zuckerrüben in der Zuefermdustrie der Magde¬
burger Gegend, die Kartoffeln in den Spiritusbrennereien Norddeutschlands,
zog sich auch in Handelsstädte günstiger Verkehrslage, wie Berlin, Leipzig,
die Nordseehäfen usw., wohin Rohstoffe und Kohlen auf bequemem oder
billigem Verkehrswege geschafft werden konnten, und nutzte im Küstenland
die Kraft des Windes. Wir sehen sie hineinwandern in die Täler der
Mittel- und Hochgebirge, wo große und billige, elektrisch ausgenutzte Wasser¬
kraft ihr heute dienstbar ist und ihr eine große Zukunft eröffnet. In der
Hausindustrie, die bis auf die Berghohen hinaufreicht, finden unzählige
Deutsche ihren Erwerb. Auch der Handel ist weiter hineingedrungen in die
deutschen Lande und blüht außer in seinem alten Gebiet vor allem in den
Großstädten und den Flußhäfen, von denen Mannheim an erster Stelle
steht. Im Schwinden begriffen war am Ende des vorigen Jahrhunderts
die Landwirtschaft. Sie ernährte 1882 noch ebensoviel Menschen wie Han¬
del und Industrie zusammen. 1895 schon blieb sie um etwa zwei Millionen
Berufsangehörige hinter der Industrie allein zurück. Einsetzende Schutz¬
politik hat sie wieder lebensfähiger gemacht, so daß sie im Weltkrieg drohen¬
der Aushungerung begegnen konnte. Sie bewährte sich in der Stunde der
Gefahr wie die Industrie in ihrer bewundernswerten Anpassungsfähigkeit
und in ihren erfinderischen Leistungen. So konnten beide die große Finanz¬
kraft des Deutschen Reiches bilden. Schweren Schaden vermochte der Welt¬
krieg nur dem deutschen Welthandel zuzufügen.