Full text: Kleine Lebensbilder aus dem Alterthum

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Griechenland und Unteritalien, um die dortigen Einrichtungen kennen 
zu lernen. Nachdem diese zurückgekehrt waren, ernannte man eine 
Commission von zehn Männern, gewöhnlich die Decemvirn genannt, 
aus den Patriciern, um Gesetze zu entwerfen; zugleich übertrug man 
diesen für ein Jahr die Regierung des Staates, und alle andern 
Beamten traten außer Wirksamkeit (451 v. Chr.). Nach Ablauf des 
Jahres hatten sie zehn Tafeln fertig und legten sie dem Volke zur 
Bestätigung vor; zugleich erklärten sie aber, es fehlten zum völligen 
Abschlüsse des Rechtes noch zwei Tafeln. Man erwählte also auch 
noch für das folgende Jahr zehn Männer, unter ihnen den Appins 
Claudius, einen Patricier von stolzem, hochfahrendem Sinn. Sobald 
dieser sein Amt angetreten hatte, zeigte er seine wahre Gesinnung. 
Aus seine Veranlassung führten sie die Neuerung ein, daß jeder von 
ihnen von zwölf Lictoren mit den Ruthenbündeln begleitet öffentlich 
erschien, während die früheren Decemvirn es so gehalten hatten, daß 
nur einer dieses königliche Abzeichen hatte und dasselbe in der Runde 
bei ihnen herumging. Sie schienen Miene zu machen, die übertragene 
Gewalt zu behalten und für das nächste Jahr keine Beamten wählen 
zu lassen; denn obschon die beiden rückständigen Tafeln bereits fertig 
waren, so beriefen sie doch das Volk nicht zu deu Wahlen, schalteten 
im Gegentheil ganz nach Belieben und verfolgten diejenigen, die 
ihnen im Wege standen. So behielten sie denn wirklich auch für 
das folgende Jahr ohne Genehmigung ihre Stelle bei, und Niemand 
wagte es, ihnen entgegenzutreten. Endlich stürzten sie zwei Unthaten, 
die aus ihrer Mitte verübt wurden. Einmal ließen sie einen alten 
verdienten Krieger, der ihnen verdächtig war, durch Meuchelmord ans 
dem Wege räumen, und dann wagte es Appins Claudius, auf eine 
bürgerliche Jungfrau, Virginia mit Namen, einen Angriff zu machen. 
In bem heftigen Verlangen, sie in feine Gewalt zn bekommen und 
sie ihrem Vater uub Bräutigam zu entreißen, gab er vor, sie sei bie 
Sclavin eines seiner Clienten (Schutzbefohlenen) unb bemfelbeu in 
früher Jugenb entführt werben. Da ber von ihm gebungene Client 
biefes vor Gericht beschwor, so sprach Appins sie ihm in der Eigen¬ 
schaft als oberster Richter zu. Das Mädchen sollte abgeführt werden; 
ba nahm sie ber Vater bei Seite unter bem Vorwanbe, er wollte 
von seiner Tochter Abschieb nehmen, unb erstach sie mit einem Messer, 
das in der Nähe ans einer Fleifcherbauk lag. Dann rief er auf
	        
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