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45. Drei Wuͤnsche. 
Dreierlei ist's, was sich die Menschen am häufigsten wünschen: 
Klugheit, Macht, Reichtum; und wer herzhaft wünscht, der will kurz— 
weg alle drei Dinge zusammen haben, nämlich, daß er klug, mächtig 
und reich zugleich sei. Daß aber solcher Wunsch selten einem Menschen⸗ 
kinde erfüllt wird, weiß jeder. Doch nur wenige wissen, daß ihn 
eigentlich jeder sich selbst erfüllen könnte. Wie das? Das sagt uns 
ein alter Weiser in den Worten: „Der ist klug, der von jedermann 
lernt; der ist mächtig, der seine Begierden bezwingt; und der ist reich, 
der sich an wenigem genügen läßt.“ 
46. Die drei Blicke. 
Ein frommer Mann wurde einst gefragt, woher es denn komme, 
daß er trotz aller Drangsale des Lebens doch solchen Gleichmut in 
sich bewahren könne. Er antwortete: „Das kommt daher, daß ich 
meine Augen wohl in acht nehme; denn alles Böse kommt durch die 
Sinne zum Herzen, aber auch das Gute.“ Auf die weitere Frage, 
wie er das mache, fagte er: „Jeden Morgen, ehe ich an die Geschäfte 
Und unter die Menschen gehe, richte ich meine Augen bedachtsam auf 
drei Dinge: Erstens hebe ich sie gen Himmel und erinnere mich, daß 
mein Hauptgeschäft und das Ziel meines Lebens und Strebens dort 
oben sei; zweitens senk' ich sie zur Erde und bedenke, wie wenig 
Raum ich bedarf, um einst mein Grab darin zu finden; drittens end⸗ 
lich schau' ich mich um und betrachte die Menge derer, denen es noch 
schliminer ergeht als mir. Auf diese Weise tröste ich mich bei jedem 
Leide und lebe mit Welt und Menschen zufrieden in Gott.“ 
Berthold Auerbach. 
47. Der törichte Jäger. 
L. Exzog hinaus, das Glückzu fangen, 
und jagte mit erhitzten Wangen 
bis in den späten Abendschein. 
Umsonst, es war ein schlimmes Jagen, 
er kehrte müde und zerschlagen 
in seine warme Hütte ein. 
2. Da saß in schlichtem Werkelkleide, 
dem wilden Jäger schier zuleide, 
am Herde eine stille Magd. 
Sie reichte ihm den Trunk, den Bissen, 
und ging zu Hand ihm, dienstbeflissen, 
wie es dem müden Mann behagt. 
3. Sie hatte still sich eingefunden 
und ungefragt, vor Jahr und Stunden, 
und ihre Treue nahm er hin. 
Heut saß sie blaß zu seinen Füßen; 
er ließ sie seinen Unmut büßen, 
das flücht'ge Wild lag ihm im Sinn. 
. „Und muß ich michzu Todehetzen, 
es soll mein heißes Herz ergetzen,“ 
rief er und rief sein letztes Wort 
und kehrte grollend ihr den Rücken 
und setzte über Traumesbrücken 
die Jagd nach seinem Wilde fort. 
5. Am Morgen, eh' die Vögelgirrten, 
erwacht' er. Seine Blicke irrten 
schlaftrunken über Bett und Wand 
und hin zum Herd. Da stand im Scheine 
des Feuers, bleich am weißen Steine, 
die Magd, ihr Bündel in der Hand. 
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