fullscreen: Deutsches Lese- und Bildungsbuch für katholische Präparandenanstalten

I 
— 143 — 
3. Und seine Glocken klangen, 
So voll, so hell, so rein; 
Er goß auch Lieb' und Glauben 
Mit in die Form hinein. 
4. Doch aller Glocken Krone, 
Die er gegossen hat, 
Das ist die Sünderglocke 
Zu Breslau in der Stadt. 
5. Im Magdalenenturme 
Da hängt das Meisterstück, 
Rief schon manch starres Herze 
Zu seinem Gott zurück. 
6. Wie hat der gute Meister 
So treu das Werk bedacht! 
Wie hat er seine Hände 
Gerührt bei Tag und Nacht! 
7. Und als die Stunde kommen, 
Daß alles fertig war, 
Die Form ist eingemauert, 
Die Speise gut und gar; 
8. Da ruft er seinen Buben 
Zur Feuerwacht herein: 
„Ich laß auf kurze Weile 
Beim Kessel dich allein. 
9. „Will mich mit einem Trünke 
Noch stärken zu dem Guß; 
Das gibt der zähen Speise 
Erst einen vollen Fluß; 
10. „Doch hüte dich und rühre 
Den Hahn mir nimmer an; 
Sonst wär' es um dein Leben, 
Fürwitziger, getan!" 
11. Der Bube steht am Kessel, 
Schaut in die Glut hinein; 
Das wogt und wallt und wirbelt 
Und will entfesselt sein. 
12. Und zischt ihm in die Ohren 
Und zuckt ihm durch den Sinn, 
Und zieht an allen Fingern 
Ihn nach dem Hahne hin. 
13. Er fühlt ihn in den Händen, 
Er hat ihn umgedreht; 
Da wird ihm angst und bange, 
Er weiß nicht, was er tät; 
14. Und läuft hinaus zum Meister, 
Die Schuld ihm zu gestehn, 
Will seine Knie umfassen 
Und ihn um Gnade flehn. 
15. Doch wie der nur vernommen 5 
Des Knaben erstes Wort, 
Da reißt die kluge Rechte 
Der jähe Zorn ihm fort. 
16. Er stößt sein scharfes Messer 
Dem Buben in die Brust; io 
Dann stürzt er nach dem Kessel, 
Sein selber nicht bewußt. 
17. Vielleicht, daß er noch retten, 
Den Strom noch hemmen kann; — 
Doch sieh, der Guß ist fertig, 15 
Es fehlt kein Tropfen dran. 
18. Da eilt er abzuräumen 
Und sieht, und will's nicht sehn, 
Ganz ohne Fleck und Makel 
Die Glocke vor sich stehn. 20 
19. Der Knabe liegt am Böden, 
Er schaut sein Werk nicht mehr. 
Ach, Meister, wilder Meister, 
Du stießest gar zu sehr! 
20. Er stellt sich dem Gerichte, 25 
Er klagt sich selber an; 
Es tut den Richtern wehe 
Wohl um den wackern Mann. 
21. Doch ihn kann keiner retten, 
Und Blut will wieder Blut; 30 
Er hört sein Todesurtel 
Mit ungebeugtem Mut. 
22. Und als der Tag gekommen, 
Daß man ihn führt hinaus, 
Da ward ihm angeboten 35 
Der letzte Gnadenschmaus. 
23. „Ich dank' euch," spricht der Meister, 
„Ihr Herren lieb und wert; 
Doch eine andre Gnade 
Mein Herz von euch begehrt: 40 
24. „Laßt mich nur einmal hören 
Der neuen Glocke Klang! 
Ich hab' sie ja bereitet, 
Möcht' wissen, ob's gelang."
	        
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