fullscreen: Lesebuch für Fortbildungsschulen und verwandte Anstalten in Elsaß-Lothringen

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»Halt!" rief der Richter, „Sie sind strafbar, Prinz, weil Siesich vergangen 
haben. Ich stehe hier im Namen des Gesetzes und an der Stelle des 
Königs, Ihres Vaters. In beiden Rücksichten sind Sie mir unbedingten 
Gehorsam schuldig. Prinz, ich befehle Ihnen demnach, von Ihrem Vorhaben 
abzustchn und Ihren künftigen Untertanen ein besseres Beispiel der Ehrfurcht 
vor dem Gesetze zu geben. Jetzt aber werden Sie wegen Verletzung dieser 
schuldigen Ehrfurcht sich sofort in Gefangenschaft begeben und so lange darin 
verbleiben, bis der König Ihnen seinen höchsten Willen kund tun wird." 
Der Prinz stutzte und wurde von der gesetzlichen Hoheit und Ruhe des 
Richters so betroffen, daß er freiwillig seinen Degen abgab, eine ehrfurchts¬ 
volle Verbeugung machte und sich, ohne eine Wort zu sagen, verhaften ließ. 
Der Vorfall wurde sogleich dem Könige berichtet. Die Höflinge äußerten 
einen heiligen Zorn gegen die Anmaßungen des Richters und flüsterten 
schon von Majestätsverbrechen. König Heinrich aber hob Augen und Hände 
gen Himmel und sprach in freudigem Tone: „Gütiger Gott, wie soll ich 
dir genug danken! Du gabst dem Lande einen Richter, der sich durch keinen 
Befehl und durch keine Drohung von der Treue gegen Gesetz und Recht 
abbringen läßt, und mir gabst du einen Sohn, der seinen Befehl dem Rechte 
und dem Gesetze aufgeopfert hat". 
298. Unsre Rechtspflege. 
Es wäre eine schöne Sache, wenn es keine Streitigkeiten gäbe, wenn 
jeder freiwillig dem Gesetze gehorchte und keiner aus Gewinnsucht, Zorn 
oder Leidenschaft sich hinreißen ließe, Handlungen zu begehn, welche den 
Nebenmenschen in vielfacher Hinsicht schädigen, die Ruhe und Ordnung im 
Staate, in der Gemeinde und in der Familie gefährden. Der Staat muß, 
um in diesen Fällen entscheiden zu können, wo das Recht liegt, genau fest¬ 
stellen, was als Recht gilt. Er muß ferner dafür sorgen, daß alle Verletzungen 
und Übertretungen des Rechts bestraft werden. 
Die Rechtsprechung erfolgt durch die ordentlichen Gerichte. Im Gegensatz 
zu diesen gibt es die besondern Gerichte, wie z. B. für die Militärpersonen 
Militärgerichte und für den Fall eines Kriegs oder Belagerungszustands 
Kriegsgerichte. Die ordentlichen Gerichte sind, um eine Einheitlichkeit 
in der Rechtsprechung zu erzielen und wichtige Prozesse mehrfach verhandeln 
zu können, in mehrere Stufen (Instanzen) gegliedert, nämlich in Amts-, 
Land-, Oberlands- und Reichsgericht; letzteres hat seinen Sitz in Leipzig 
und ist der oberste Gerichtshof für das ganze deutsche Reich. Der höchste 
Gerichtshof in Elsaß-Lothringen ist das Oberlandsgericht zu Colmar. Dem¬ 
selben sind 6 Landgerichte untergeordnet, welche sich in Mülhausen, Colmar, 
Straßbnrg, Zabern, Saargemünd und Metz befinden. Jeder Kanton hat 
in der Regel ein Amtsgericht; in unserm Lande giebt es deren 77. 
Die Tätigkeit der Gerichte zerfällt in die bürgerliche oder Zivil¬
	        
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