426 flus der Entwicklungsgeschichte des deutschen Handwerkerstandes.
Aber von 6er Mitte des 16. Jahrhunderts an verfiel das
deutsche Handwerk. Die Entdeckung neuer Seewege, die Unruhen
im Innern, vor allem der entsetzliche Dreißigjährige Krieg be¬
wirkten, daß die Städte ärmer an Menschen und Geld wurden,
und daß das Handwerk immer weiter zurückging. Einen großen
Teil der Schuld trug auch die veraltete Einrichtung der Innungen
und Zünfte. Im Mittelalter hatten die Handwerker desselben
Berufes, also alle Schneider, alle Schuhmacher usw., in einer
Stadt sich zusammengetan, um ihre Person, ihre Familie und
ihr Eigentum zu schützen. Sie sorgten dafür, daß die Lehrlinge
und Gesellen das Handwerk ordentlich erlernten, daß die Meister
gute Ware lieferten; sie unterstützten die Armen und Kranken,
die Witwen und Waisen, und so wurde die Innung oder Zunft
ein großer Segen für die Mitglieder und für das ganze deutsche
Handwerk. Im Laufe der Zeit aber suchten die Zunftgenossen
immer mehr Vorteile für sich zu gewinnen. In den meisten deut¬
schen Ländern brachten sie es dahin, daß nur derjenige ein
Gewerbe betreiben durfte, welcher einer Zunft angehörte. Nun
wurden aber viele Leute als ,.unehrlich“ betrachtet, und sie wurden
in keiner Zunft aufgenommen. Dahin gehörten: Leibeigene, die
Kinder der Gerichtsdiener, der Nachtwächter, der Gassenkehrer,
der Feld- und Waldhüter, der Abdecker oder Schinder, der Lein¬
weber, Müller, Barbiere, Zolleinnehmer, Trompeter und Pfeifer.
Alle diese Leute konnten also nicht als Handwerker ihr Brot ver¬
dienen.
Später ging man in den Beschränkungen immer weiter. Man
suchte dem einzelnen Handwerker ein großes Einkommen zu
sichern, indem man nur wenige Meister in einem Orte zuließ.
Es wurde also bestimmt, wie viele Tischler, Schuhmacher, Schnei¬
der u. dergl. in einem Orte sein durften. Nur diese bestimmte
Anzahl erhielt die Erlaubnis oder Konzession, ihr Geschäft zu
betreiben; alle andern mußten ihr ganzes Leben Gesellen bleiben.
Alle guten Geschäfte waren konzessioniert, und wer kein Geld
hatte, eine Konzession zu kaufen, blieb zeitlebens arm. Wenn
ein Zimmermann ein Gerät herstellte, das geleimt war, so wurde
er von der Tischlerinnung verklagt und zur Strafe verurteilt,
weil sie nur allein das Recht hatte, ihre Erzeugnisse zu leimen.
Wenn ein Tischler einen Gegenstand fertigte, der mit Eisennägeln
zusammengefügt war, so wurde er von der Zimmerinnung ver¬
klagt, weil nur sie das Recht hatte, mit Eisennägeln zu binden.