106 I. Die Zeit neuer Staatenbildungen.
digte für den 22. Febr. 48 ein großartiges Reformbankett
an, da prachtvoll getafelt und geredet werden sollte. Als
der Minister diese Kundgebung verbot, wenigstens der ein¬
geladenen Nationalgarbe die Theilnahme untersagte, gab
man das Bankett auf; dafür rächte sich aber die um ein
Schauspiel betrogene Menge durch Baueu von Barrikaden
nnd einzelne Zusammenstöße mit den Truppen. Da bei
dieser Gelegenheit mit Lust bemerkt wurde, daß die Na¬
tionalgarde die Truppeu nicht unterstützte, waren die Lei¬
ter der Geheimbünde darauf bedacht, alle ihre Mitglieder
zu bewaffnen; und die Unruhen mehrten sich am 23., in¬
dem die Nationalgarbe heiter mitrief: Es lebe die Reform!
Nieder mit Guizot! Der König, von einer unerklär¬
lichen Schwäche befallen, entließ 2 Uhr Nachmittags den
treuen Diener ohne Noth, worüber die Freude so groß
war, daß man vielfach in den Straßen illuminirte. —
Aber ein neues Ministerium ließ sich nicht im Nu bilden,
so fehlte die sichere Leitung im Augenblick der Entschei¬
dung. Nachts 10 Uhr, als das Volk auf den lichter-
strahlenden Boulevards hin- und herwogte, getheilt zwi¬
schen dem Stolz eines errungenen Siegs und der Lust zu
weiterem Wagniß, führte der verwegene Lagrange, der
1834 den Lyoner Aufstand geleitet hatte, feine wilde
Rotte unter Vorantragung ber rothen Fahne vor das
Justizministerium, bem bie Fenster eingeworfen würben.
Ebenso wollte man's in Guizots Amtswohnung halten.
Hier aber staub ein Wachposten von 50 Mann. Lagrange
schoß auf bas Pferb bes Befehlshabers, worauf ber Posten
mit einer Salve antwortete. Das war's, was Lagrange
wollte: nun hatte man Tobte unb Berwnnbete, so viel
man brauchte, um Paris zur Fieberhitze zu steigern. Die
Leichen wurden auf Karren geladen und unter Fackelbe¬
gleitung und dem Ruf: „Wir sind verrathen! man mordet
das Volk! zn den Waffen!" durch alle Straßen geführt.
Zahllose Barrikaden erstanden wie durch ein Zauberwort
und ber Aufstanb würbe gefährlich.
Louis Philipp war bereits rathlos; er ernannte ben