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B. Zur Länderkunde.
Dracäuen und Erikaceen herrschen im Wald vor, nicht mehr von braunen Moosen über-
zogen, sondern nur mir grauen Bartflechten behangen, und in der Bodenvegetation
sind halbmannshohe Doldenblütler und Schilfgräser die Leitformen. Ter Boden
selbst, der im unteren Urwald rotbraun uud lehmig gewesen, ist in diesen oberen
Waldpartien ein schwarzer Humus. Das anstehende Lavagestein hat nicht mehr die
dicht basaltische Struktur wie unten, sondern ist gröber kristallisiert. Unsere Träger
marschieren vorzüglich; da bedarf es keines Antreibens mehr: es ist die Creme unserer
Karawane. Nachdem sie beim Gehen wieder warm geworden, scherzen sie über
das Elend ihres verlassenen Nachtlagers, und als dann einer der Führer ein kleines
ahnungsloses Nagetier, das an einem Baumstamm zu schlafen schien, am Kragen
erwischte und es trotz allen Sträubens zum Transport in eine Astgabel band, daß es
jammervoll quiekte, war die alte Fröhlichkeit wieder in vollem Schwange.
Eine Stunde lang waren wir im Wald langsam westwärts bergan gestiegen,
als wir an ein offenes Bächlein, Ngona md ogo, heraustraten, das in seinem mulden-
sörmig ausgewaschenen Lavabett vom Mawensi herabrieselt. Von hier war uns
1887 der erste Anblick des im Neuschnee damals so nahe scheinenden Mawensi zuteil
geworden. Heute waren seine Felsen in Nebel gehüllt. Nachdem wir bald darauf
auch durch die steile und von seltsamen Vegetationsformen überwucherte Bachschlucht
des Ngona mkubahindurchgeklettert wareu, den wir früher, von Modschi kommend,
in seinem Unterlauf als Grenzbach zwischen Marangn uud Kilema überschritten hatten,
trafen wir in der Grasflur auf den neutralen Pfad des oberen Kilimandscharo, der, von
Useri herüber, am oberen Urwaldrand entlang in fast immer gleicher Bergeshöhe bis
nach Madschame im Westen des Berges hinführt, und folgten ihm eiuige Stunden lang.
Gelegentlich passierten wir noch eine Waldzunge, die, einem Bachlauf oder auderen
günstigen Terrainverhältnissen folgend, von unten in die obere Grasflur hineinreicht.
Im Mittel liegt die obere Grenze des geschlossenen Urwaldes ungefähr bei
2990 m Höhe, die obere Grenze des Baumwuchses überhaupt, d. h. die uutere Höhen-
grenze der den Baumwuchs vernichtenden thermischen Minimalextreme, ist aber
noch 290 m höher zu zieheu. Diese Regiou ist recht eigentlich das Reich der Erikaceeu.
Von baumhohem Wuchs, zerzaust und geknickt durch den Bergwind und mit wehenden
grauen Flechtenmänteln behangen, trotzen sie als äußerste Grenzmauer des Urwaldes
dem Wetter des Hochgebirges. In niederer Strauchform aber sind sie über die ganze
Grasslnr hin verstreut uud dringen weit über die Baumgrenze vor bis hiuaus zum
Raud des Sattelplateaus bei 4999 m. Solche Zähigkeit ist vor allem begründet in
der Bildung ihrer Blätter, dereu Oberseite glatt uud lückenlos geschlossen ist, während
ihre Unterseite stark eingerollt und durch zahllose Spaltöffnungen gelockert ist, so daß
hier der Weg für den Wasserdampf uud die auszuscheidenden Gase immer freigehalten
wird, wie lange und dicht auch die Nebel um sie wehen mögen, uud daß die für die
Pflanze so wichtige Ausdünstung stattfinden kann, sobald nur für kurze Minuten ein
trockener Luftzug oder Sonnenschein die Blättchen trifft.
Gemeinsam mit den Eriken bewohnen mehrere Proteaceen, 9ldlerfarne, Rauten,
Strohblumen, niedere Heidelbeerformen die Grasflur. Viele vou ihnen standen in
voller Blüte und waren beflogen von wilden Bienen, für deren Honig von den Wa-
dschagga hier und da an den Bäumen die in Ostafrika allgemein üblichen kanonen-
rohrartigen hölzernen Sammelröhren aufgehängt waren. Gegen Mittag ließ uns
die Sonne fühlen, daß sie es hier oben ebensogut meinen kann wie unten in Dschagga,
wenn sie will. Aber die von den Höhen herabwehenden Winde kühlten uns Brust
und Stirn und weckten mit ihrem Hauch fast heimatliche, freundliche Empfindungen