Object: Lesebuch für die Unterklassen der katholischen Volksschulen der Rheinprovinz

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„Wie lustig das ist“, sagten sie und schrubbten die Dachsteine 
schön blank. „Hu — aber vorsichtig muß man sein, das geht ja 
ganz schräg hier. Wenn die Dachrinne nicht wäre, dann wären 
wir jetzt vom Dache heruntergefallen. Aber was ist denn das für 
ein Rohr, das da auf die Straße hinunterläuft?“ 
Neugierig, wie die Tröpflein nun einmal waren, wollten sie 
in das Rohr hineinsehen — plumps! fielen sie hinein. 
War das eine lange Rutschfahrt in dem stockfinstern Rohre! 
Endlich kamen sie wieder ans Tageslicht — aber gefangen waren 
sie doch — in einem Regenfaß nämlich. Das hatten die Leute hier 
aufgestellt, um Regenwasser zum Waschen zu bekommen. 
„Nun sind wir gefangen“, klagten die Tröpfchen; „nun krie— 
gen wir gar nichts mehr zu sehen, und wir haben uns doch auf 
diese Reise so gefreut! Was wohl die andern jetzt machen? Ob sie 
auch nicht vergessen, die alte Landstraße draußen zu begießen?“ 
Nein, das hatten die andern nicht vergessen. Die Landstraße 
hätte ihnen das auch schön übelgenommen. Sie brummte so schon 
ganz ärgerlich, weil sie so lange hatte warten müssen. 
„Seht ihr denn nicht, wie staubig ich bin?“ sagte sie zu den 
Regentropfen. „Die Leute wollen schon gar nicht mehr auf mir 
gehen. Gießt jetzt nur tüchtig zu. Vergeßt aber auch die Blumen 
hierneben am Rande nicht — die jammern schon lange vor Durst!“ 
Da mußten denn schnell ein paar Tröpfchen zu den Blumen 
eilen und ihnen Wasser bringen. Sie waren schon nahe am Ver— 
dursten und ließen die Köpfe ganz tief hangen. 
„Ah!“ machten sie, als sie endlich zu trinken bekamen, und 
hoben die Köpfe. „Ah! Danke! Danke! Wie gut, daß ihr kommt! 
Wir dachten schon, wir müßten sterben. Wenn ihr nicht gekommen 
wäret, hätten uns die Sonnenstrahlen verbrannt.“ 
„Die Sonnenstrahlen? Die sind doch so gut und freundlich!“ 
sagten die Regentropfen. 
„Oh, sie können auch böse sein. Fragt nur einmal den Bach 
dort drüben auf der Wiese!“ 
Ach, wie traurig sah der Bach aus! Wo srüher alle die 
lustigen Wellenkinder gehüpft und über Steine gesprungen und ge— 
tanzt und gelacht hatten, daß man sie schon von weitem hörte, da 
lagen jetzt nur noch ein paar große Steine. Über die schlichen nur 
noch ein paar Wellchen traurig und langsam hinüber.
	        
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