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zu sagen. Ich aber drehte den Ellenbogen des Rockärmels so herum,
daß das Loch einwärts kam, damit es niemand erblicken möchte. Ich
lernte von meiner Mutter nähen, spielend, denn ich sagte nicht, warum
ich's lernen wolle. Jetzt, wo sich an meinen Kleidern eine Rath öff¬
nete, ein Fleckchen sich durchschabte, ward's sogleich gebessert. Das
machte mich aufmerksam; ich mochte an unzerrissenen Kleidern nun nicht
mehr Unreinigkeit leiden. Ich ging sauberer, ward sorgfältiger, freute
mich und dachte, der alte Herr in der schneeweißen Perücke hat so
Unrecht nicht. Mit zwei Nadelstichen zu rechter Zeit rettet man einen
Rock, mit einer Hand voll Kalk ein Haus; mit einem Glase Wasser
löscht man eine angehende Feuersbrunst; aus rothen Pfennigen werden
Thaler, aus kleinen Samenkörnern Bäume, wer weiß, wie groß.
Albrecht nahm die Sache nicht so streng. Es war sein Schade.
Wir waren beide einem Krämer empfohlen; er verlangte einen im
Schreiben und Rechnen geübten Lehrburschen. Der Krämer prüfte
uns; dann gab er mir den Vorzug. Meine alten Kleider waren heil
und sauber; Albrecht im Sonntagsrock ließ Nachlässigkeiten sehen. Das
sagte mir der Herr Prinzipal nachher. „Ich sehe ihm an," sagte er,
„er hält das Seine zu Rath; aus dem andern giebt's keinen Kauf¬
mann." Da dachte ich wieder an den alten Herrn und an das Loch
im Ärmel.
Ich merkte wohl, ich hatte in andern Dingen, in meinen Kennt¬
nissen, in meinem Betragen, in meinen Neigungen, noch manches Loch
im Ärmel. Zwei Nadelstiche zu rechter Zeit bessern alles, ohne Mühe,
ohne Kunst. Man lasse nur das Loch nicht größer werden; sonst
braucht man für das Kleid den Schneider, für die Gesundheit den Ärzt,
für die moralischen Löcher die strafende Obrigkeit. — Es giebt
nichts Unbedeutendes und Gleichgültiges, weder iin Guten, noch im
Bösen. Wer das glaubt, kennt sich und das Leben nicht. Mein
Prinzipal hatte auch ein abscheuliches Loch im Ärmel, nämlich er war
habrechtig, zänkisch, despotisch, launenhaft; das brachte mir
oft Verdruß. Ich widersprach; da gab's Zank. Holla, dachte ich, es
könnte ein Loch im Ärmel geben, und ich Zänker und gallsüchtig und
unverträglich, wie der Herr Prinzipal, werden. Von Stunde an ließ
ich den Mann Recht haben; ich begnügte mich, recht zu thun, und be¬
wahrte meinerseits den Frieden.
Als ich ausgelernt hatte, trat ich in andere Kondition. Gewöhnt
mit wenigen Bedürfnissen des Lebens froh zu sein (denn wer viel hat,
ist nie ganz froh), sparte ich manches. Gewöhnt, mir kein Loch im
Ärmel zu verzeihen, schonend aber über dasjenige an fremden Ärmeln
wegzusehen, war alle Welt mit mir zufrieden, wie ich mit aller Welt.
So hatte ich beständig Freunde, beständig Beistand, Zutrauen, Ge¬
schäfte. Gott gab Segen. Der Segen liegt in Rechtthun und Recht¬
denken, wie im Nußkern der fruchttragende, hohe Baum.
So wuchs mein Vermögen. Wozu denn? fragte ich: du brauchst