Brüder Grimm: Frau Holle.
9
Aber als der Frosch herabsiel, stand da ein Königssohn mit schönen
und freundlichen Augen. Der war nun von Recht und mit ihres
Vaters Willen ihr liebster Geselle und Gemahl. Da erzählte er ihr,
er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden und hätte nur von
ihr aus dem Brunnen erlöst werden können, und morgen wollten sie
zusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am andern
Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren,
mit acht weißen Pferden bespannt; die waren mit Federn geschmückt
und gingen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen
Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so
betrübt, daß er drei eiserne Bande hatte müssen um sein Herz legen
lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der
Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; der treue
Heinrich hob beide hinein und stellte sich wieder hinten auf, voller
Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Weges gefahren
waren, hörte der Königssohn, daß es hinter ihm krachte, als wäre etwas
zerbrochen. Da drehte er sich um und rief:
„Heinrich, der Wagen bricht!" —
„Nein, Herr, der Wagen nicht;
Es ist ein Band von meinem Herzen,
Das da lag in großen Schmerzen,
Als Ihr in dem Brunnen saßt,
Als Ihr eine Fretsche wast" (ein Frosch wart).
Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Wege, und der
Königssohn meinte immer, der Wagen bräche, und es waren doch nur
die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein
Herr wieder erlöst und glücklich war.
5. Frau Holle. (Aus Hessen und Westfalen.)
Von den Brüdern Grimm. Kinder- und Hausmärchen. Göttingen, 1857.
Eine Witwe hatte zwei Töchter; von diesen war die eine schön
und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte aber die häßliche
und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere
mußte alle Arbeit thun und der Aschenputtel im Hause sein. Das
arme Mädchen mußte sich täglich hinaus auf die große Straße bei
einem Brunnen setzen und so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den
Fingern sprang. Nun trug es sich zu, daß die Spule einmal ganz
blutig war; da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie
abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und siel hinab. Es
weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück; sie schalt es
heftig und war so unbarmherzig, daß sie sprach: „Hast du die Spule
hinunterfallen lassen, so hol' sie auch wieder herauf!" Da ging das
Mädchen zu dem Brunnen zurück und wußte nicht, was es anfangen