Full text: [Abt. 1 = Für Sexta, [Schülerband]] (Abt. 1 = Für Sexta, [Schülerband])

10 A. Erzählende Prosa. I. Märchen. 
sollte, und sprang in seiner Angst in den Brunnen hinein, um die 
Spule zu holen. Als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war 
es auf einer schönen Wiese; da schien die Sonne und waren viel tausend 
Blumen. Auf der Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, 
der war voll Brotes; das Brot aber rief: „Ach, zieh mich hinaus, zieh 
mich hinaus, sonst verbrenn' ich, ich bin schon längst ausgebacken." 
Da trat es fleißig hinzu und holte alles heraus. Danach ging es 
weiter und kam zu einem Baume, der hing voll Äpfel und rief ihm 
zu: „Ach, schüttele mich, schüttele mich, wir Äpfel sind alle mitein¬ 
ander reif." Da schüttelte es den Baum, daß die Äpfel sielen, als^ 
regneten sie, solange bis keiner mehr oben war; und dann ging es 
wieder weiter. Endlich kam es zu einem kleinen Hause, daraus guckte 
eine alte Frau; weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm angst, 
und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: „Fürchte 
dich nicht, liebes Kind, bleib bei mir; wenn du alle Arbeit im Hause 
ordentlich thun willst, so soll dir's gut gehen; nur mußt du acht geben, 
daß du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst, daß die 
Federn fliegen, dann schneit es in der Welt; ich bin die Frau Holle." 
Weil die Alte ihm so gut zusprach, willigte das Mädchen ein und be¬ 
gab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles zu ihrer Zufrieden¬ 
heit und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig auf; dafür hatte es 
auch ein gutes Leben bei ihr, kein böses Wort und alle Tage Gesottenes 
und Gebratenes. Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, 
da ward es traurig in seinem Herzen, und ob es hier gleich viel tausend¬ 
mal besser war als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin; 
endlich sagte es zu ihr: „Ich habe das Heimweh, und wenn es mir 
auch noch so gut hier geht, so kann ich doch nicht länger bleiben." 
Die Frau Holle sagte: „Es gefüllt mir, daß du wieder nach Hause 
verlangst, und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst 
wieder hinaufbringen." Sie nahm es darauf bei der Hand und führte 
es vor ein großes Thor. Das Thor ward ausgethan, und wie das 
Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und 
alles Gold blieb an ihm hangen, so daß es über und über davon 
bedeckt war. „Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist," 
sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm 
in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Thor verschlossen, 
und das Mädchen befand sich oben auf der Welt nicht weit von seiner 
Mutter Haus, und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem 
Brunnen und rief: 
„Kikeriki, 
Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie!" 
Da ging es hinein zu seiner Mutter, und als es so mit Gold bedeckt 
ankam, ward es gut aufgenommen.
	        
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