Full text: [Abt. 1 = Für Sexta, [Schülerband]] (Abt. 1 = Für Sexta, [Schülerband])

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A. Erzählende Prosa. IL Sagen. 
Jäger." Da sprach der Schmied: „Pfui, des Landgrafen, des barm¬ 
herzigen Herrn! Beherbergen will ich dich diese Nacht; in dem Schuppen 
da findest du Heu, da magst du dich mit deinem Pferde behelfen; aber 
um deines Herrn willen will ich dich nicht aufnehmen." Der Land¬ 
graf ging schweigend an den angewiesenen Ort, konnte jedoch nicht 
schlafen. Denn die ganze Nacht hindurch arbeitete der Schmied, und 
wenn er mit dem großen Hammer das Eisen zusammenschlug, sprach 
er bei jedem Schlag: „Landgraf, werde hart! Landgraf, werde hart, 
hart wie das Eisen!" und schalt ihn also: „Du böser, unseliger Herr, 
was taugt deine Negierung den armen Leuten? Siehst du nicht, wie 
deine Räte das Volk plagen?" Dann erzählte er dem Schmiedegesellen 
bei der Arbeit, was die Beamten für Bedrückungen gegen die armen 
Unterthanen ausübten und wie diese mit ihren Klagen nirgends Gehör 
fänden; denn der Herr nähme sie nicht an, während doch die Ritter¬ 
schaft seiner hinterrücks spottete und ihn gar unwert hielte. So trieb 
es der Schmied bis zum Morgen, und wenn die Hammerschläge kamen, 
schalt er den Herrn und hieß ihn hart werden wie das Eisen. 
Der Landgraf aber faßte alles zu Ohren und zu Herzen, kehrte 
am Morgen heim und ward seit der Zeit scharf und strenge in seinem 
Sinn und Wesen. Er begann, die Widerspenstigen zu zwingen und 
zum Gehorsam zu bringen, und als sie sich unterstanden, sich zur 
Gegenwehr gegen ihn zu verbinden, stritt er mit ihnen bei der Naum¬ 
burg an der Saale, bezwang sie und führte sie gefangen auf die Burg. 
Hier strafte er sie mit harten Worten. „Den Eid, welchen ihr mir 
geleistet," redete er sie an, „habt ihr schlecht gehalten. Nun wollte 
ich zwar eure Untreue wohl nach Gebühr belohnen; wenn ich's aber 
thäte, spräche man vielleicht, ich tötete meine eigenen Diener; wollte 
ich euch eine Geldbuße auflegen, so hätte ich auch üble Nachrede davon, 
und ließe ich euch ungestraft wieder los, so achtetet ihr meines Zornes 
fürder nicht." Dann führte er sie aufs Feld, fand dort einen Pflug, 
spannte in denselben je vier der ungehorsamen Edelleute und ackerte 
mit ihnen eine Furche, während die Diener den Pflug hielten und er 
selbst mit einer Geißel die Vorgespannten antrieb und hieb, daß sie 
sich beugten und oft auf die Erde fielen. So pflügte er den ganzen 
Acker, mit je vieren eine Furche, ließ danach denselben zum ewigen 
Gedächtnis mit großen Steinen bezeichnen und nannte ihn den Edel¬ 
acker; die Gedemütigten aber führte er wieder zur Naumburg, wo sie 
ihm aufs neue schwören und huldigen mußten. Diese Geschichte erscholl 
an allen Ecken in deutschen Landen; manche schalten den Landgrafen 
darum und wurden ihm gram; manche tadelten die Untreue der Be¬ 
amten; andere meinten auch, sie würden sich lieber haben töten als in 
den Pflug spannen lassen. Der Landgraf aber ward fortan im ganzen 
Lande von seinen Dienern gefürchtet; einige derselben wollten chm zwar
	        
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