82
IV. Sagen.
seinen Zügen, wenn er, Segen und Freude spendend, auf seinem
mit Panthern bespannten Wagen durch die Lande fuhr.
Ägeus harrte voll Unruhe der Rückkehr seines Sohnes; viele Tage
schaute er von einem hohen Felsen am Meere nach dem weißen Segel
aus. Endlich erblickte er in der Ferne das wohlbekannte Schiff; aber
als es näher kam, sah er das schwarze Segel. Theseus hatte des
väterlichen Gebotes, das schwarze gegen ein weißes zu vertauschen, wenn
das Glück ihm günstig gewesen sei, vergessen. Der unglückliche Ägeus
glaubte seinen Sohn tot und stürzte sich, vom Grame übermannt, in
das Meer, das von da an das Ägeische Meer genannt wurde.
4.
Theseus wurde nun an Stelle seines Vaters König. Das Schiff,
das ihn nach Athen gebracht hatte, wurde zum ewigen Andenken auf¬
bewahrt und immer wieder erneuert. Es wurde Jahrhunderte lang dazu
gebraucht, die heilige Gesandtschaft, die jedes Jahr nach Delos zu dem
großen Apollofeste geschickt wurde, dahin zu bringen. Theseus' Ne¬
gierung war weise und wohltätig; er ward der Begründer einer
neuen Staatsordnung, indem er die Landleute, die um Athen wohnten,
dahin brachte, sich mit den Städtern zu einem Gemeinwesen zu ver¬
binden. Viele zogen nach Athen, das unter einer mächtigen Burg,
der Akropolis, lag, und zum Andenken an diese Vereinigung stiftete
Theseus das Fest der Panathenäen (Fest der Gesamtathener). Aber
das friedliche Walten genügte dem König nicht; sein Sinn war auf
kühne Taten und Abenteuer gerichtet. So nahm er am Zuge des
Herakles gegen die Amazonen teil und brachte sich ihrer eine, die er
zur Gefangenen gemacht hatte, als Gemahlin aus dem Krieg zurück.
Seine Freundschaft mit dem König der Lapithen, Pirithous, veranlaßte
manches Abenteuer. Bei dem Hochzeitsfeste des Pirithous, zu dem dieser
auch die benachbarten Centauren geladen hatte, kam es zu einem schreck¬
lichen, blutigen Kampfe, als der wildeste der Centauren die Gemahlin
des Königs zu rauben suchte. An diesem Streite nahm auch Theseus
teil und tat dabei Wunder der Tapferkeit, bis die Centauren besiegt
waren. Die Gemahlin des Pirithous wurde bald darauf von einem
frühzeitigen Tode ereilt. Da faßte Pirithous einen seltsamen Gedanken;
er beschloß, sich an dem Gotte der Unterwelt Hades (Pluto), der ihr
so früh den Tod gesendet, zu rächen und dessen Gemahlin Persephone
(Proserpina) dafür zu rauben. Mit seinem Waffenbruder Theseus
stieg er durch eine finstere Erdkluft in die Unterwelt hinab. Schon
waren sie an die- Pforten des Schattenreiches gelangt, als Müdigkeit
sie überfiel. Sie setzten sich auf einen Steinblock nieder. Als sie aber
nach einer kurzen Rast sich wieder erheben wollten, konnten sie sich nicht