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232. Lebensplan.
(,,Der alte Landmann an seinen Sohn.“)
Ludwig Hölty, Gedichte, Weißenfels (Bohn), 1814, S. 48- 52 (gekürzt).
1. Üb’ immer Treu und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!
2. Dann wirst du wie auf grünen
Au’n
Durchs Pilgerleben gehn,
Dann kannst du sonder Furcht
und Grau’n
Dem Tod ins Antlitz sehn.
3. Dem Bösewicht wird alles schwer,
Er tue, was er tu’!
Der Teufel treibt ihn hin und her
Und läßt ihm keine Ruh’.
4. Der Wind im Hain, das Laub
am Baum
Saust ihm Entsetzen zu;
Er findet nach des Lebens Raum
Im Grabe keine Ruh’.
5. Sohn, übe Treu’ und Redlich¬
keit
Bis an dein kühles Grab
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!
6. Dann suchen Enkel deine Gruft
Und weinen Tränen drauf,
Und Sommerblumen, voll von Duft,
Blühn aus den Tränen auf.
233. Tätigkeit.
Nach Ludwig Gleim, Sämtliche Werke, Halberstadt (Bureau für Literatur und Kunst), 1811—1813,
I, S. 258 („An Leukon").
1. Rosen pflücke, Rosen blühn!
Morgen ist nicht hent'.
Keine Stunde last entfliehn!
Flüchtig ist die Zeit.
2. Zu Genuß und Arbeit ist
Heut' Gelegenheit.
Weißt du, wo du morgen bist?
Flüchtig ist die Zeit.
3. Aufschub einer guten Tat
Hat schon oft gereut.
Hurtig leben ist mein Rat.
Flüchtig ist die Zeit.
234. Drei Paare unö einer.
Friedrich Rudert, Gesammelte poetische Werke, Frankfurt a. Bi. (Sauerländer), 1868—1869,
VII, S. 381.
1. Du hast zwei Ohren und einen Mund;
Willst du's beklagen?
Gar vieles sollst du hören und
Wenig drauf sagen.
2. Du hast zwei Augen und einen Mund;
Mach' dir's zu eigen!
Gar manches sollst du sehen und
Manches verschweigen.
3. Du hast zwei Hände und einen Mund;
Lern' es ermessen!
Zwei sind da zur Arbeit und
Einer zum Essen.
232. Str. 4. Hain: Wald.