Full text: [Teil 3 = Quinta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quinta, [Schülerband])

Riehl: Die Weinlese am Rhein. 203 
auf die frischen, heiteren Gesichter, und unsere Stimmung giebt der 
der Winzerinnen nichts nach. 
Vor uns, auf sanft anstrebenden: Hügel, in fast peinlicher Ordnung 
und in gleichmäßiger Entfernung von einander stehen die Weinstöcke, 
schon halb der rauhen Witterung ihren Tribut zollend, denn zum Teil 
haben sie das Saftgrün ihres Blätterfchmuckes mit einem satten Gelb 
vertauscht. Über die Weingärten hinaus ragt der zinnengeschmückte 
Bergfried eines mittelalterlichen Burgrestes. 
Die freudige Stimmung während des Geschäfts der Lese herrscht 
auch in den umgebenden Weinbergen vor. Aus der Nachbarschaft kommen 
Weinbergsbesitzer, kosten und prüfen Trauben und Most. An den fahr¬ 
baren Wegen stehen große Bottiche, in die der Inhalt der sogenannten 
Legel entleert wird. Letztere nennt der Winzer eine unten spitz zu¬ 
laufende, oben breitere, elliptisch geformte Holzbütte, die an zwei festen 
Lederriemen auf dem Rücken getragen wird und neunzig bis hundert 
Pfund Trauben fassen kann. Je nach der Örtlichkeit werden diese schweren 
Lasten auch häufig bis hinunter ins Kelterhaus geschleppt. Vorher be¬ 
arbeitet der Legelträger mit zwei Mostkolben im Legel selbst die ganze 
Traubenmasse. Es bildet sich eine braungelbe und dunkelrote, nichts 
weniger als klare Brühe, die dann in die Bottiche geschüttet wird. An 
einzelnen Stellen werden die Trauben auch, statt in den Legeln bearbeitet 
zu werden, in einem großen Bottich von Winzern mit hüfthohen 
Stiefeln getreten und geknetet. Da die Mostbrühe nicht lange in den 
Bütten mit den Trauben zusammenstehen darf, sondern sofort voll¬ 
ständig bearbeitet sein will, so geschieht das Geschäft des eigentlichen 
Kelterns häufig in der Nacht. Die schweren Balken der Kelter treiben 
den Rebensaft bis auf den letzten Rest aus den Beeren heraus. Einladend 
sieht der junge Most, der nun in großen Fässern in den Keller gebracht 
wird, nicht aus; bis derselbe als goldheller oder dunkelroter Wein 
auf unsern Tisch kommt, hat er noch verschiedene Gärungsprozesse 
durchzumachen. 
Gegen Abend ertönen vom rechten Rheinufer Flintenschüsse hin¬ 
über, zum Zeichen, daß das Lesegeschäft für heute beendet ist. Die 
Wingerte bleiben die Nacht über geschlossen. Auf der linken Rheinseite 
wird zur Öffnung der Wingerte morgens sieben Uhr und zum Schluß 
abends etwa sechs Uhr das Zeichen mit den Kirchenglocken gegeben. 
Schüsse und Glockenschläge mischen sich mit dem Jauchzen der heim¬ 
kehrenden Winzer, das Echo dieses Lebens und Webens hallt in den 
Bergen wieder; über uns steigen Raketen auf, und bengalisches Feuer 
beleuchtet unsern Heimweg.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.