Die weiße Frau von Orlamünde.
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40. Die werke Frau von Orlamünde.
Wilhelm von Kügelgen.
Vor alten grauen Zeiten, als in deutschen Landen
noch die Faust regierte, lebte auf dem Schlosse zu Orla¬
münde eine junge verwitwete Gräfin mit zwei kleinen Kna¬
ben, deren Vormund der junge ritterliche Burggraf Friedrich
von Hohenzollern war. Der kam bisweilen angeritten, um
nach seinen Mündeln zu sehen, und weil er ein gar statt¬
licher Herr war von edler Sitte und voll Achtung für die
Frauen, so geschah es, daß die Gräfin ihn sehr lieb ge¬
wann. Wenn er daher nach Orlamünde kam, bezeigte sie
sich so freundlich und demütig gegen ihn, daß sie auch
sein Herz gewann, und er sie gar zu gern zur Frau genom¬
men hätte. Er war aber ein guter und getreuer Sohn,
und da er merkte, daß seine Eltern gegen die Verbindung
waren, so schwieg er still und wollte warten, bis die ver¬
ehrten Eltern anderen Sinnes würden. So verlief ein
Jahr nach dem anderen — der Gras blieb immer stumm
und dem Anschein nach so kalt wie ein Marmorstein gegen
die schöne Witwe, die er doch von Herzen liebte.
Da hörte die tief betrübte Frau von einem Mönch, der
ihr Vertrauter und in ihren Geschäften aus dem Hohen¬
zollern gewesen war, daß der junge Graf geäußert habe:
die Gräfin Orlamünde sei die schönste Blume in deutschen
Auen; so lange sich aber nicht vier Augen schlössen, könne
er sie nicht in seine Krone flechten. Damit mochte er seine
Eltern gemeint haben, die Gräfin aber deutete seine Rede
auf ihre Kinder. Da fuhr der Satan ihr ins Herz, daß
sie die Kleinen heimlich erwürgte. Sie beweinte sie aber
öffentlich und begrub sie mit Gepränge.
Inzwischen war die Sache ruchbar geworden und vor
ein heimliches Gericht gebracht, das bei nächtlicher Weile
einen Span aus dem Orlamünder Schloßtor hieb und die
Gräfin verfehmte. Graf Friedrich aber war Schöffe des
Gerichtes uub wurde mit der Ausführung des Spruches
beauftragt, der auf Tod lautete. Er allein unter allen
Hessel, Lesebuch. Anhang für Thüringen. 7