Full text: Für Klasse IV und III (6tes und 7tes Schuljahr) (Teil 3, [Schülerband])

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des Bündnisses der Stadt mit dem Könige von Schweden so eifrig mit¬ 
betrieben haben?" fragte er in. seinem Dialekt. 
Johanna richtete sich stolz empor und entgegnete: „Meine Brüder 
sind keine Verräter. Der Kaiser hats mit unserer Stadt nie gut gemeint, 
und unser Protestantischer Glaube ist ihm verhaßt." 
Das kühne, unerschrockene Benehmen der Jungfrau imponierte dem 
Geheimsekretär, und er ward wieder freundlicher, indem er sagte: 
„Jedenfalls werdet Ihr wohlthun, mein schönes Kind, die Verwandt¬ 
schaft mit jenen unbedachten Jünglingen geheimzuhalten; es könnten sonst 
für Euch und Euren greisen Vater Unannehmlichkeiten entstehen." 
„Und — — leben meine Brüder noch?" forschte Johanna ängstlich. 
„Noch leben sie," lautete Bossis Antwort, „wie lange sie sich aber 
ihres Daseins erfreuen werden, vermag ich nicht zn sagen; jedenfalls 
werden sie bald vor ihrem himmlischen Vater stehen." 
„Was soll das heißen?" rief Johanna mit hochklvpsendem Herzen, 
„Ihr sprecht in Rätseln." 
„Ich will damit sagen," versetzte der Mailänder ernst, „daß Eure 
beiden Brüder als Ketzer und Aufrührer den Tod durch Henkershand 
erleiden werden." 
„Barmherziger Gott!" kreischte Johanna und brach zusammen. Doch 
schon nach wenigen Sekunden raffte sie sich wieder empor, um den Geheim¬ 
sekretär mit bittenden Händen anzuflehen, ihr den jetzigen Aufenthalt der 
Brüder zu nennen. 
„Was soll das nützen?" entgegnete Bossi achselzuckend. „Ihr setzt 
Euch dadurch nur einer großen Gefahr aus, ohne das Schicksal der beiden 
Gefangenen irgend zu bessern." 
„Glaubt Ihr denn nicht, daß ich vor Tilly einen Fußsall thun werde?" 
„Davon rate ich Euch entschieden ab, denn der Feldherr ist dem 
weiblichen Geschlecht nicht hold. Sobald er durch Euch erfährt, daß 
Ihr die Schwester der beiden Verräter seid, wird er Euch bis nach 
Vollzug der Exekution in ein sicheres Gewahrsam bringen lassen, damit 
es Euch unmöglich werde, zu Gunsten der Gefangenen etwas zu unter¬ 
nehmen." 
Johanna überlegte noch einen Augenblick, dann sagte sie rasch: „Ich 
danke Euch für Euren wohlmeinenden Rat, Herr Geheimsekretär, — jetzt 
aber erbarmt Euch und nennt mir den Aufenthaltsort meiner Brüder." 
„Vorderhand verweilen sie noch im Lager von Fermersleben; sobald 
aber der Feldherr den Dankgottesdienst im Dome abgehalten haben wird, 
erfolgt die Vollziehung des Urteils, — ob hier oder im Lager, vermag 
ich Euch nicht zu sagen." 
„Gott vergelte Euch Eure Freundlichkeit," versetzte Johanna, indem 
sie dem Mailänder ihre kleine, weiße Hand zum Abschied darbot. 
„Wo wollt Ihr hin?" rief der letztere. 
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