Full text: [Bd. 5 = Kl. 5, 6. Schulj, [Schülerband]] (Bd. 5 = Kl. 5, 6. Schulj, [Schülerband])

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Die kleinen Mäuse liefen zuletzt auch fort, und da seufzte der 
Baum: „Es war doch ganz hübsch, als die schlanken, kleinen Mäuse 
um mich saßen und hörten, was ich erzählte! Nun ist auch das 
vorbei! Aber ich werde daran denken, mich zu vergnügen, wenn man 
mich wieder hervorholt.“ 
Aber wann geschah das? — Ja! es war eines Morgens, da 
kamen Leute und arbeiteten auf dem Boden; die Kasten wurden 
versetzt, der Baum wurde hervorgezogen, sie warfen ihn zwar ein 
wenig an den Boden, aber sogleich schleppte ein Knecht ihn gegen 
die Treppe hin, wo der Tag schien. 
„Nun beginnt das Leben wieder!“ dachte der Baum; er fühlte 
die frische Luft, den ersten Sonnenstrahl, — und nun war er draußen 
auf dem Hofe. Alles ging so geschwind; der Baum vergaß ganz, 
auf sich selbst zu sehen; es war so viel um ihn herum. Der Hof 
stieß an einen Garten, alles blühte darin; die Bosen hingen so frisch 
und duftend über das kleine Geländer, die Lindenbäume blühten, die 
Schwalben flogen und sagten: „Quirre-wirrewit, mein Mann ist ge¬ 
kommen!“ aber es war nicht der Tannenbaum, den sie meinten. 
„Nun soll ich leben!“ jubelte er und breitete seine Zweige weit 
aus; ach, sie waren alle verwelkt und vergilbt; im Winkel war’s 
zwischen Unkraut und Nesseln, wo er lag. Der Goldpapierstern saß 
noch oben im Gipfel und schimmerte im klaren Sonnenschein. Im 
Hofe selbst spielten ein paar der lustigen Kinder, die Weihnachten 
um den Baum getanzt hatten und über ihn so froh waren. Eins der 
kleinsten lief hin und riß den Goldstern ab. 
„Sieh, was da noch auf dem häßlichen alten Weihnachtsbaume 
sitzt!“ sagte der Knabe und trat auf die Zweige, so daß sie unter 
seinen Stiefeln knackten. 
Und der Baum sah auf all die Blumenpracht und Frische im Garten; 
er sah auf sich selbst und wünschte, daß er in seinem finstern Winkel 
auf dem Boden geblieben wäre; er dachte an seine frische Jugend 
im Walde, an den lustigen Weihnachtsabend und an die kleinen 
Mäuse, die so vergnügt seine Geschichte über Klumpe-Dumpe ange¬ 
hört hatten. 
„Vorbei! vorbei!“ sagte der arme Baum. „Hätte ich mich doch 
gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei! vorbei!“ 
Und der Knecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein 
ganzer Haufen'lag dort; hell flammte das Holz auf unter dem großen 
Braukessel, und es seufzte so tief, jeder Seufzer war wie ein kleiner 
Schuß! Deshalb liefen die Kinder, welche spielten, hinein, setzten sich 
vors Feuer, sahen hinein und riefen: „Piff, paff!“ Aber bei jedem 
Knall, der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommer¬ 
tag im Walde, oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne
	        
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