Linnig: Kvnigsspiel des jungen Cyrus.
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dort wohnten, fehlte es nicht an muntern Altersgenossen und willigen
Spielgefährten. Bei allen Spielen aber war Cyrus Anordner und Leiter;
denn er war nicht nur der stärkste und milchigste. sondern auch der
geschickteste und erfindsarnste unter allen Kameraden. Nun geschah es
eines Tages, daß ein vornehmer Meder in jene Gegend kam,' um dort
des edlen Weidwerks zu pflegen. Er hatte seinen-Sohn, einen Knaben
von zwölf Jahren, mitgebracht und ließ ihn, als er tiefer ins Gebirge
ziehen wollte, in der 'Obhut der Hirten zurück. Die Hirtenknaben
nahmen den vornehmen Gast mit aller Freundlichkeit auf, und um ihm
ein rechtes Vergnügen zu bereiten, wllrde alsbald ein gemeinsames Spiel
verabredet. Rasch war eine Schar von etwa zwanzig Knaben, alle mit
Hirtenstäben wohl bewaffnet, zusammen.
„Was sollen wir heute spielen?" riefen alle, indem sie den Cyrus
als ihren Meister und Führer umringten.
„Laßt uns Krieg spielen, meine Freunde; wählen wir deshalb zuerst
einen König."
„Du bist unser König, wie immer," — riefen alle einstimmig.
„Gut," sprach Cyrus, „ich nehme die Wahl an und erwarte von
euch pünktliche Vollziehung meiner Befehle." — Darauf theilte er die
Schar mit weiser Abwägung der Kräfte und Fähigkeiten in zwei gleiche
Abtheilungen und setzte über die eine seinen Freund Atembares als
Feldherrn; den vornehmen Mederknaben behielt er in seiner Abtheilung.
„Heute," begann jetzt Cyrus, „gilt es, ein schweres Kriegswerk zu voll¬
führen. Ziehe hin, Atembares, besetze die wohlbekannte Felsenburg, die
sich drüben drohend erhebt, und vertheidige sie wohl; allen Schwierig¬
keiten zum Trotz werde ich sie mit meiner tapfern Schar erobern."
„Das sollt ihr nichtt" schrieen die Knaben entschlossen, indem sie
ihrem Bestimmungsorte zueilten.
Der Schauplatz ihres Spieles war nämlich ein schmales Wiesenthal;
an der einen, tiefer liegenden Seite floß ein reißender Waldbach vorüber,
und hinter demselben erhoben sich schroffe Felsen und Hügel. Der steilste
dieser Gipfel trug auf seinem Rücken hoch übereinander getürmte Fels¬
blöcke, die ihn vüe eine cyclopische Mauer umschlossen und eine natürliche
Festung bildeten.
Tsiese Burg zu erobern, das war die Aufgabe, die sich Cyrus für
heute gestellt. Die erste Schwierigkeit, die sich seinem Unternehmen ent¬
gegenstellte, war der Uebergang über den Bergstrom. Es führte nur
ein schmaler, aus zwei neben einander gelegten Baumstämmen gebildeter
Steg über denselben, und diese Balken hatten die Feinde klüglich an
das jenseitige Ufer gezogen. Eine neue Brücke zu bauen, dazu fehlten
den Knaben die nöthigen Werkzeuge; auch würde dies dem Feuereifer
des Cyrus viel zu lange gedauert haben. Er hatte einen kühnern, wenn
auch schwierigern Plan in seinein'Geiste entworfen. An einer Stelle
des Baches, die den Belagerten durch überhangende Felsen und Gebüsch
verdeckt war, hatte Cyrus einen verschütteten Graben entdeckt, der einsi
dazu gedient haben mochte, das Wasser über die Fläche der Wiese ab¬
zuleiten. Indem Cyrus seine Krieger dorthin führte, sprach er zu ihnen:
„Wohlan Gefährten, jetzt beginnt die Arbeit. Diesen Graben müssen