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Samt und schlich hinter Pia her, unhörbar auf seinen weichen Pfoten.
Immer näher kam er heran, schmiegte sich an sie und warf ihr ans
den großen, runden Topasaugen forschende Blicke zu.
Ob er den Vogel witterte? Ob er ahnte, was Pia in der
Hand trug?
Auf der Treppe lag der Staub fingerdick, und ein unheimliches
Zwielicht herrschte. Die wenigen Fenster waren nicht viel breiter
als eine Zaunlatte und mit Schmutz und Spinngeweben überzogen.
Manchmal huschte etwas vorüber — eine Ratte gewiß. Dann schoß
der Kater drauf los, und dann gab's einen kurzen, wütenden Kampf,
ein schrilles Pfeifen gellte, ausgestoßen in Schmerz und Todesnot.
Und das Raubtier war wieder da, uud seine gelben Augen leuch¬
teten und sahen wieder und wieder zu Pia hinauf und schienen zu
sagen: „Die rechte Beute hab' ich noch nicht, die möchtest du mir
vorenthalten. Wart' nur, ich hole sie mir, ich bin stark, ich habe
Krallen!"
Der Kleinen wurde bang; sie hastete, sie lief die Stiege hinaus.
Ach, die wollte heute kein Ende nehmen! Und die Stufen waren so
steil, und so schwindelig wurde man bei dem ewigen Rundherum
und Rundherum!
Seit einer Weile schon hatte das Finklein kein Lebenszeichen
gegeben. Plötzlich rührte sich's, sträubte seine Federn, seine Füßchen
zappelten und zuckten. . .
Vorüber. . . nichts mehr! Das war vielleicht das Letzte. Das
Finklein war vielleicht jetzt gestorben. Pia trug eine kleine Leiche in
ihrer Hand . . .
Schrecklich, schrecklich, der Tod ist etwas Schreckliches, und ihn
da haben, ihn fühlen . . . Ein Grauen überrieselte sie, und sie flüsterte
dem Vogel zu:
„Stirb nicht, stirb nicht in meiner Hand!" Sie legte seinen Kopf
an ihre Wange, hauchte leise über ihn hin und — schrie auf. Der
Kater war mit einem wilden Satze heraufgesprungen, ihr fast ins
Gesicht, und fauchte und dräute. Eine feige Regung stieg in dem
Kinde auf: Gib es ihm! Gib ihm das Vögelchen! Es ist ja tot . . .
Aber vielleicht doch noch nicht ganz tot und kann sich noch fürchten,
noch etwas davon fühlen, wie es zerfleischt wird. Nein und — nein!
Man hat doch seinen Kopf, man wird nach seinem eigenen stopf tun
und nicht nach dem eines ekelhaften alten Katers.
„Fort, Unkatz! Unkatz!" ruft sie, uud daß sie eineu so ver¬
letzenden Namen für ihn gefunden hat, freut sie, stärkt sie. Sie stürmt
die Stufen hinauf.