Full text: Mittelstufe: Erster Kursus (Teil 3, [Schülerband])

43 
alt und jung, vornehm und gering. Einige Ratsherren, Freunde der 
beiden, traten freundlich grüßend hinzu, und der ältere, ein Mann mit 
greisem Haar und Bart, sprach: „Freund Hermann, Euer Schiff ist schier 
schwer bepackt und beladen; Ihr habt doch nicht zu viel gewagt? Denn 
weit ist der Weg und gefährlich die Fahrt, und unser Jansen ist eben 
auch keiner der Jüngsten mehr." Herr Hermann zuckte die Achseln und 
sprach: „Der Jansen hat's auf sich; ihm, seiner Treue, Kenntnis und 
Geschicklichkeit hab' ich vertraut und alles überlassen." Aber Jansen 
antwortete munter: „Laßt's Euch nicht anfechten, Ihr Herren! Es ist 
das dritte Mal, daß ich die Fahrt mache, und aller guten Dinge sind 
ja drei; darum hoffe ich fest, wir sehen uns gesund und freudig wieder; 
wir haben ja das Sprichwort: Gott verläßt keinen Deutschen — und 
den alten Jansen nun schon einmal gar nicht; darum lebet wohl!" 
Da donnerte der erste Signalschuß zur Abfahrt, und das Boot, 
das ihn einnehmen sollte zur Abfahrt nach dem Schiffe, war eben ge¬ 
landet. Der ehrliche Jansen drückte seinem Herrn noch einmal kräftig 
beide Hände, ein paar Thränen träufelten doch dem alten Knaben in 
den Bart, und er stieg ein. Die Musik ertönte lebhafter; leicht hin¬ 
tanzend über die spiegelglatte Fläche, langte schnell das Boot am Schiffe 
an. Die Leiter ward herabgelassen; hinauf stieg Jansen; schnell ward 
die Leiter zurückgezogen, eben so schnell der große Anker aufgewunden 
und das Boot befestigt; und nun donnerte der letzte Kanonenschuß zur 
Abfahrt. Alle Wimpel flaggten, und stolz flog das Schiff dahin, alle 
Segel gebläht vom günstigsten Winde; vom Verdeck winkte noch einmal 
Jansen mit dem Tuche das letzte Lebewohl, und bald war das Schiff 
dem Auge kaum mehr sichtbar. Die Menge verlies sich, und die Herren 
schritten unter freundlichen Gesprächen ihren Wohnungen zu. 
Drei Vierteljahre waren seitdem verflossen, und kein Jansen kam 
zurück noch irgend eine Nachricht von ihm; wohl aber hatten sich dunkle 
Gerüchte von deutschen Handelsschiffen, welche in der Gegend von Neu- 
Amsterdam gescheitert seien, verbreitet. Immer bedenklicher wurde die 
Miene des Herrn Hermann und immer sorgenvoller seine Stirn. Einen 
großen Verlust nach dem andern hatte er erlitten durch den Fall mehrerer 
Handelshäuser zu Braunschweig, Nürnberg, Augsburg und Ulm, und 
täglich noch trafen Unglücksbriefe ein. Herr Gruit war eben daran, die 
Bilanz zu ziehen, darum war's im Comptoir stille wie im Grabe; kaum 
hörte man einen Atemzug oder das leise Schnarren der Federn der 
emsig schreibenden Commis, die nur manchmal ängstlich die Augenlider 
hoben, ohne ihre Körperstellung zu verändern, wenn ein schwerer Seufzer 
des Herrn Gruit wie ein klagender Geist durchs Zimmer klang oder 
ein großer Schweißtropfen von der gefalteten Stirn auf das Papier 
niederfiel. Endlich schlug der Herr die Augen auf, sah starr nach dem 
ihm gegenüber hängenden Bilde seines Vaters, und eine große, schwere
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.