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der Trojanerheld die mächtige Lanze; sie drang dem Gegner durch Erz und
Leder des Schildes und blieb erst in der letzten Schicht stecken. Rasch warf
nun Aias seinen Speer. Die scharfe Spitze durchbohrte Hektors Schild und
wäre ihm säst in die Brust gedrungen. Nun rissen beide Kämpfer die Lanzen
aus den Schilden und rannten damit einander auf den Leib. Wieder
deckte Aias sich mit seinem Schilde, und Hektor erhielt nur eine leichte
Wunde am Halse. Schnell bückte er sich, hob mit der Rechten einen wuchtigen
Feldstein auf und schleuderte ihn nach dem Gegner. Laut dröhnte dessen
Schild von dem Wurfe, aber Aias stand fest wie ein Turm. Jetzt packte er
ein noch größeres Felsstück und warf es gegen Heltors Schild, daß er zer¬
brach. Hektor selbst strauchelte rückwärts zur Erde, aber im Augenblick raffte
er sich wieder auf, riß das Schwert aus der Scheide und stürmte von neuem
auf Aias los. Dieser hatte ebenfalls sein Schwert gezogen. Als das die
Griechen und Trojaner sahen, bangten beide Völker um ihre Helden. Rasch
traten die Herolde mit vorgestrecktem Stab zwischen die Kämpfer und gebo¬
ten ihnen Einhalt. Die beiden waren es gern zufrieden. Hektor gab dem
Gegner sein kostbares Schwert mit silbernem Griff und dem künstlichen
Wehrgehenk; Aias löste seinen purpurnen Leibgurt und bot ihn dem Tro¬
janer als Gegengabe. So schieden sie nach grimmem Kampf als Freunde
voneinander, und jeder ward von den Seinigen mit Jubelrus heimgeleitet.
49. Der Tod des Patroklos.
Wieder drangen die Trojaner siegreich vor, denn selbst die tapfersten
unter den griechischen Fürsten flohen vor Hektors Ungestüm und bargen sich
hinter der starken Mauer, welche zum Schutze um das Lager gezogen war.
In dieser Not ließ der stolze Agamemnon sich herab dem beleidigten Achil¬
leus gute Worte zu geben. Er ließ ihm sagen, er wolle ihm die Briseis
wiedergeben und noch kostbare Geschenke hinzufügen, wenn Achilleus den
Griechen zu Hülse kommen wolle. Allein dieser blieb unerbittlich, und die
Boten kehrten unverrichteter Sache zurück.
Am folgenden Tage erging es den Griechen noch schlimmer. Agamem¬
non, Diomedes und Odysseus wurden verwundet und mußten in ihre Zelte
getragen werden. Schon hatte der furchtbare Hektor die großen Riegel des
Lagerthores gesprengt, und durch die geöffneten Flügel drangen die Trojaner
ein; da trat zum Achilleus sein liebster Freund und Jugendgespiele, der
edle Patroklos, und flehte ihn an sich seiner bedrängten Landsleute zu
erbarmen. Achilleus blieb bei seiner Weigerung, doch gestattete er endlich
dem Freunde an der Spitze seiner eigenen Heerschaar in den Kamps zu
ziehen und lieh ihm sogar seine eigene Rüstung. Patroklos legte freudig