Die Glieder des menschlichen Leibes. — Das Christbäumchen.
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67. Die Glieder des menschlichen Leibes.
Die Glieder des menschlichen Leibes wurden einmal überdrüssig, sich
einander zu dienen, und wollten es nicht mehr thun. Die Füße sagten:
„Warum sollen wir allein euch alle tragen und fortschleppen? Schafft
euch selbst Füße, wenn ihr gehen wollt!" — Die Hände sagten: „Warum
sollen wir allein für euch andern arbeiten? Schafft euch selbst Hände,
wenn ihr welche brauckt!" — Der Mund brummte: „Ich müßte wohl
ein Thor sein, wenn ich immer für den Magen Speisen kauen wollte,
damit er sie nach seiner Bequemlichkeit verdaue. Schaffe sich selbst einen
Mund, wer einen nötig hat!" — Die Augen fanden es gleichfalls sehr
sonderbar, daß sie allein für den ganzen Leib beständig auf der Wache
stehen und für ihn sehen sollten. Und so sprachen auch alle übrigen
Glieder des Leibes, und eines kündigte dem andern den Dienst auf. Allein
was geschah? — Da die Füße nicht mehr gehen, die Hände nicht mehr
arbeiten, der Mund nicht mehr essen, die Augen nicht mehr sehen wollten;
so fieng der ganze Körper in all seinen Gliedern an zu welken und abzu¬
sterben. Nun kamen sie zur Besinnung; sie erkannten ihre Thorheit und
söhnten sich wieder aus. Es diente wieder ein Glied dem andern, und
alle wurden auch wieder gesund und stark, wie sie es vorher gewesen
waren *). Campe.
68. Das Christbäumchen.
Die Bäume hatten einmal Streit unter einander, welcher von ihnen
der vorzüglichste sei. Da trat die Eiche hervor und sagte: „Seht mich
an, ich bin hoch und dick, und meine Zweige sind reich an Blättern und
Früchten." „Früchte hast du wohl," sagte der Pfirsichbaum, „aber es sind
nur Früchte für die Schweine, die Menschen mögen nichts davon wissen.
Aber ich liefere meine rotbäckigen Pfirsiche auf die Tafeln der Könige."
„Das hilft nicht viel," sagte der Apfelbaum, „von deinen Pfirsichen werden
nur wenige Leute satt, auch dauern sie nur wenige Wochen, dann werden
sie faul, und niemand kann sie mehr brauchen. Da bin ich ein anderer *)
Baum; ich trage alle Jahre Körbe voll Äpfel; die brauchen sich nicht zu
schämen, wenn sie auf eine vornehme Tafel gesetzt werden; aber sie machen
auch die Armen satt, man kann sie den ganzen Winter im Keller aufbe¬
wahren, man kann sie im Ofen dörren oder kann Wein davon keltern.
Ich bin der nützlichste Baum." „Das bildest du dir ein," sagte die Tanne,
„aber du irrst dich. Mit meinem Holz heizt man die Öfen und baut man
die Häuser, mich schneidet man zu Brettern und macht Tische, Stühle,
Schränke, ja sogar Schiffe daraus; dazu bin ich im Winter nicht so kahl
wie ihr, ich bin das ganze Jahr hindurch grün und schön. Allein ich habe
noch einen Vorzug. Wenn's Weihnachten wird, dann kommt Christkindchen,
setzt mich in ein schönes Gärtchen und hangt goldene Nüsse und Äpfel,
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