Full text: [Untere Lehrstufe, [Schülerband]] (Untere Lehrstufe, [Schülerband])

IV. Fabeln. 
343 
„Ha!" spricht er, „sei gegrüßt! Ist hier 
dein Aufenthalt? 
Erblickt man hier die reizende Gestalt? 
Daß du gefällst, muß, wer dich kennt, 
bejahen. 
10. Erlaube mir die Lust, dich itzo4) recht 
zu sehn. — 
Ja, der Fasan muß dir an Farbeweichen. 
Ist dein Gesang nur halb so schont), 
So wird an Seltenheit dir auch kein 
Phönix6) gleichen." 
Den Raben täuscht das Lob, das ihm 
der Falsche gab. 
15. Er kann sich nicht vor stolzer Freude 
fasten. 
Ich, denkt er, muß mich hören lasten, 
Und sperrt den Schnabel auf. Sein 
Käse fällt herab, 
Den gleich der Fuchs verschlingt. Er 
sagt: „Mein schönster Rabe, 
Ein Schmeichler lebt von dem, der ihn 
zu gerne hört, 
20. Wie ich dir itzt bewiesen habe. 
Ist diese Lehre nicht zehn solcher Käse 
wert?" 
Des Fuchses Schülers schweigt, mit 
heimlichem Verlangen, 
Den schlauen Fänger auch zu fangen. 
Der trug einst Speck nach seinem Ban, 
25.Und er begegnet ihm. „Wie," spricht 
er, „Hühnerfrester, 
Ist itzo Speck dein Mahl? Du lebest zu 
genau, 
Fast wie ein Mäuschen lebt, Schalk«), 
dein Geschmack war besser. 
Sieh um, in jenem Hof. Die Hennen, 
die dort gehn, 
Sind klügrer Füchse Kost; nichts 
Schöners«) wird man sehn. 
LO.Dich solltewohl ein solcher Anblick rühren. 
Allein du bist nicht dir, noch deinem 
Vater gleich. 
Sonst warst du doch an Mut und an 
Erfindung reich. 
Da suchte dich das Glück10)." Der 
Fuchs läßt sich verführen, 
Wirft seinen Fraß dahin, setzt dem Ge¬ 
flügel nach. 
35. Doch jenes macht sich unter Dach 
Und krähet ihm zum Hohn im sichern 
Hühnerhause. 
„Kräht," ruft er, „kräht! mir bleibt ein 
fetter Fraß zum Schmause." 
Er trabt") zurück und sucht. Der frohe 
Rabe sitzt 
Auf einem Baum, wo ihn die Höhe 
schützt. 
40. Den Speck hat er verzehrt. „Freund," 
schreit er, „mit Vergnügen 
Erlern' ich Füchse zu betrügen '«). 
Gedenk' an meinen Käs, ich denk' an 
deine List: 
Vorhin war ich ein Thor, wie du es 
heute bist'«)." 
Fr- von Hagedorn. 
241. Die Gärtnerin und die Diene. 
Eine kleine Biene flog 
Emsig hin und her und sog 
Süßigkeit aus allen Blumen. 
„Bienchen," spricht die Gärtnerin, 
5. Die sie bei der Arbeit trifft'), 
„Manche Blume hat doch Gift, 
Und du saugst«) aus allen Blumen?" 
„Ja," sagt sie zur Gärtnerin, 
„Ja, das Gift laß ich darin«)." 
I. W. L. Gleim. 
242. Die Diene und die Tande. 
Ein Bienchen trank und fiel in Bach'), 
ä)ies sah von oben«) eine Taube 
Und brach ein Blättchen von der Laube 
Und warf's ihr«) zu. Das Bienchen 
schwamm darnach 
5. Und half dadurch sich glücklich aus dem 
Bach. 
In kurzer Zeit saß unsre4) Taube 
In Frieden«) wieder auf der Laube.
	        
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